Sachstand und Ausblick
I. Vorbemerkung
Die Düsseldorfer Tabelle und die unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Oberlandesgerichte sind eine "ewige Baustelle", die der kontinuierlichen Aufmerksamkeit und sorgfältigen Pflege bedürfen. Deshalb haben sich die "Baumeister" der Unterhaltstabelle, die Unterhaltskommission des Deutschen Familiengerichtstages und die Vertreter (fast) aller deutschen Oberlandesgerichte im November 2023 erneut am traditionellen Ort, dem Amtsgericht Kreuzberg, getroffen, um die Werte für die neue Düsseldorfer Tabelle 2024 zu beraten und sich über neue Entwicklungen bei den unterhaltsrechtlichen Leitlinien der jeweiligen Oberlandesgerichte abzustimmen.
II. Tabellenstruktur
1. Das Strukturproblem
Die Düsseldorfer Tabelle steht vor einem strukturellen Problem, das freilich nicht aus der Tabelle als solcher resultiert, sondern "von außen" an sie herangetragen wird, ohne dass die "Macher" der Unterhaltstabelle hierauf Einfluss nehmen könnten:
Die Schwierigkeiten zeigen sich in erster Linie beim starken Anstieg des Mindestunterhalts: Der Tabellenunterhalt in Gruppe 1, Altersstufe 2 – dem "Eckwert" der Tabelle, auf dem diese aufbaut – betrug im Jahr 2008, beim Inkrafttreten der Unterhaltsrechtsreform 2008, noch 322 EUR/Monat. In diesem Jahr – 2024 – ist der Wert bis auf 551 EUR/Monat angestiegen – das sind etwa 70 % mehr bzw. ein absoluter Anstieg um + 229 EUR. Der Grund für diese große Steigerung liegt nicht allein an der hohen Inflationsrate: Zwar hat diese im Jahr 2022 ca. 6,9 % und im Jahr 2021 etwa 3,1 % betragen. Aber wenn man den Tabellenunterhalt des Jahres 2008 mit den seitherigen, historischen Preissteigerungsraten hochrechnet, kommt man auf einen Tabellenunterhaltsbetrag von "lediglich" 419 EUR, also auf eine Steigerung um "nur" etwa 30 %. Von der Steigerung des Tabellenunterhalts im Zeitraum zwischen 2008 und 2022 gehen überschlägig also etwa 40 Prozentpunkte auf "andere Faktoren" zurück. Zu diesen Einflussgrößen zählen in erster Linie Erhöhungen einzelner Bedarfspositionen bei Kindern sowie die Anpassungen bei den Regelbedarfssätzen nach dem SGB II, die sich über das steuerlich zu berücksichtigende, sächliche Existenzminimum (§ 1612a Abs. 1 Satz 2 BGB) unmittelbar auf die Höhe der Unterhaltsbedarfssätze nach § 1612a Abs. 1 Satz 3 BGB auswirken, die wiederum über das "Scharnier" der Mindestunterhaltsverordnung (§ 1612a Abs. 4 BGB) die Basis bilden, auf der die Werte der untersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle beruhen. Das Ausmaß, um das es hier geht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen führt, dass der Regelbedarf nach dem SGB II für einen Alleinstehenden, der 2023 noch 502 EUR/Monat betragen hat, im Jahr 2024 um etwa 12 % auf nunmehr 563 EUR/Monat angestiegen ist.
Die strukturellen Herausforderungen, die sich daraus für die Tabelle ergeben, sind enorm: Das große Ansteigen des Unterhaltsbedarfs führt zusammen mit der Steigerung bei den Selbstbehaltssätzen der Tabelle dazu, dass Schuldner der ersten Einkommensgruppe selbst im "besten Fall" nur noch den (Tabellenunterhalts-) Bedarf eines einzigen minderjährigen Kindes abdecken können. Den Unterhaltsbedarf eines volljährigen, sich in Ausbildung befindlichen Kindes kann ein Unterhaltsschuldner der ersten Gruppe überhaupt nur noch bewältigen, weil der Bedarfssatz der vierten Altersstufe um das volle Kindergeld von 250 EUR/Monat zu kürzen ist (§ 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB). Alles andere sind Mangelfälle. Eine weitere Verschärfung der Situation ergibt sich aus den Folgen der Inflation: Das starke Anwachsen der Inflation in den vergangenen beiden Jahren hat in den Tarifrunden zu verhältnismäßig hohen Lohn- und Gehaltsabschlüssen geführt. Der nominelle Verdienstzuwachs, den ein Arbeitnehmer im Allgemeinen begrüßen wird, kann bei einem Unterhaltsschuldner jedoch zu einem Aufstieg in die nächsthöhere Einkommensgruppe und damit zu einem Anwachsen seiner Unterhaltslast führen, der keine "echte" Gehaltssteigerung gegenübersteht, sondern nur ein Gehaltszuwachs als Folge einer allgemeinen Preissteigerung.