Jochem Schausten
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
mit dem Jahreswechsel bietet sich die Gelegenheit, sowohl einen Blick zurück als auch nach vorne zu werfen. Auf unserer Herbsttagung Ende November 2024 in München hat Tom Braegelmann mit seinem Vortrag über Künstliche Intelligenz im Familienrecht die Teilnehmenden inspiriert und zum Nachdenken angeregt. Die Dynamik, mit der Digitalisierung und KI in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft und des Rechts Einzug halten, ist beeindruckend – und macht auch vor unserem Fachgebiet nicht halt.
Die Digitalisierung bietet enorme Potenziale für unsere Arbeit als Familienrechtsanwälte. Praktische Anwendungen sind bereits heute sichtbar: Die automatisierte Erstellung von Entwürfen für Umgangsvereinbarungen oder Scheidungsfolgeregelungen oder die Nutzung digitaler Tools zur effizienteren Verwaltung und Analyse von Fallakten sind nur zwei Beispiele. Auch könnten in naher Zukunft KI-gestützte Systeme dazu beitragen, komplexe Vermögensaufstellungen im Zugewinnausgleich oder andere datenintensive Fragestellungen schneller und genauer zu bearbeiten. Diese Technologien entlasten uns bei routinemäßigen Aufgaben und schaffen Freiraum für die persönliche Beratung und die strategische Vertretung unserer Mandanten.
Doch Digitalisierung bedeutet mehr als technische Hilfsmittel. Sie stellt uns auch vor strategische Herausforderungen. Wie können wir sicherstellen, dass wir in einer zunehmend digitalisierten Welt wettbewerbsfähig bleiben? Eine Antwort darauf liegt in der Kombination aus gezielter Weiterbildung, dem Einsatz moderner Technologien und der Fokussierung auf unsere anwaltlichen Kernkompetenzen. Etwa durch die Integration von Legal-Tech-Lösungen zur Optimierung von Arbeitsprozessen oder durch die Vernetzung mit Fachkollegen, um gemeinsam neue Ansätze zu entwickeln. Wie bewahren wir gleichzeitig die Werte und Qualitätsstandards, die unseren Beruf ausmachen? Es liegt an uns, die Digitalisierung aktiv zu gestalten – sei es durch den Erwerb neuer Kompetenzen, die Implementierung moderner Technologien in unseren Kanzleialltag oder die kritische Auseinandersetzung mit den rechtlichen und ethischen Grenzen des Einsatzes von KI.
Dabei geht es auch um die Zukunft unseres Berufsstandes. Als Anwältinnen und Anwälte sind wir mehr als Dienstleister. Unsere Rolle als Verhandlungsführer, strategische Berater und empathische Unterstützer in oft hochsensiblen Angelegenheiten bleibt unersetzlich. Gerade im Familienrecht, wo es um existenzielle Themen wie die finanzielle Absicherung, den Schutz von Kindern und die Klärung persönlicher Konflikte geht, bleibt der menschliche Faktor entscheidend. Gleichzeitig können digitale Technologien diesen Faktor unterstützen, indem sie Routineaufgaben übernehmen und dadurch Raum für einfühlsame und persönliche Beratung schaffen. Technische Werkzeuge können uns unterstützen, aber niemals ersetzen.
Die Arbeitsgemeinschaft Familienrecht versteht sich als Plattform, um Sie bei diesen Entwicklungen zu begleiten. Wir möchten Ihnen nicht nur fundiertes Wissen über die Chancen und Risiken der Digitalisierung vermitteln, sondern auch Impulse geben, wie Sie diese gewinnbringend in Ihrer Praxis einsetzen können. Unsere Veranstaltungen, Publikationen und Netzwerke bieten Ihnen die Möglichkeit, sich auszutauschen und von den Erfahrungen Ihrer Kolleginnen und Kollegen zu profitieren.
Ich lade Sie herzlich ein, sich aktiv mit dem Thema Digitalisierung auseinanderzusetzen. Gemeinsam können wir die Zukunft des Familienrechts gestalten und sicherstellen, dass unser Berufsstand auch in einer digitalen Welt stark bleibt. Ich freue mich darauf, diesen Weg gemeinsam mit Ihnen zu gehen.
Mit den besten Wünschen für ein erfolgreiches und inspirierendes Jahr 2025!
Ihr
Autor: Jochem Schausten
Jochem Schausten, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Familienrecht, Krefeld
FF 1/2025, S. 1