Man mag es kaum glauben: Da verhindert die Mutter eines vierjährigen Kindes im Umgangsverfahren wiederholt und trotz Androhung von Ordnungsmitteln die Anhörung des Kindes durch die Gerichte erster und zweiter Instanz,[1] nur um anschließend deren Entscheidungen jeweils mit der Begründung anzugreifen, wegen der unterbliebenen Anhörung sei der Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt worden. Es ist zu begrüßen, dass sie damit keinen Erfolg hatte. Natürlich macht das prozessuale Verhalten der Kindesmutter die Anhörung nicht entbehrlich. Der BGH nimmt diesen Fall aber zum Anlass, die Grundsätze und Grenzen der Anhörungspflicht eingehend darzustellen. Dabei stellt er keine neuen Regeln auf, gibt der Praxis aber wertvolle Hinweise zu der Frage, wann ein Kind persönlich anzuhören ist und unter welchen Voraussetzungen das Gericht davon absehen kann.

Zusammenfassen lassen sich die entsprechenden Grundsätze wie folgt:

Kinder unter drei Jahren müssen in der Regel nicht persönlich angehört werden.[2] Aus den Umständen des Einzelfalles kann sich aber die Notwendigkeit der Anhörung ergeben.[3]
Kinder im Alter von drei Jahren bis dreizehn Jahren muss das Gericht in der Regel persönlich anhören. Ausnahmsweise kann die Pflicht zur Anhörung entfallen, z.B. wenn die Belastung des Kindes durch die Anhörung schwerer wiegt als ihre Vorteile für die Sachverhaltsaufklärung. Dabei ist neben dem Alter des Kindes auch die Bedeutung des jeweiligen Eingriffs für seine Rechte zu berücksichtigen. Außerdem ist bei der Abwägung zu beachten, ob und inwieweit die Wünsche und Interessen des Kindes und sein Wohl durch die Auskunft anderer Verfahrensbeteiligter (z.B. Verfahrensbeistand, Jugendamt, Umgangs- und Ergänzungspfleger) oder Dritter als Zeugen (z.B. Lehrer, Erzieher, Familienhelfer) hinreichend zuverlässig ermittelt werden können.
Jugendliche ab vierzehn Jahren sind gemäß § 159 Abs. 1 S. 1 FamFG persönlich anzuhören. Die Anhörung darf außer in den Fällen des § 159 Abs. 1 S. 2 nur aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen unterbleiben. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn das Kind durch die Anhörung aus seinem seelischen Gleichgewicht gebracht wird und eine Beeinträchtigung seines Gesundheitszustandes zu besorgen ist.[4] Die Hürden dafür sind hoch, insbesondere können die Eltern nicht auf die Anhörung verzichten, und die mit jeder Anhörung einhergehenden allgemeinen Belastungen bleiben außer Betracht.[5]

Diese Vorgaben zeigen die hohe Bedeutung der persönlichen Anhörung für das Verfahren in Kindschaftssachen. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG[6] und des BGH[7] ist es Kindern als Trägern des Persönlichkeitsrechts und der Menschenwürde in solchen Verfahren zu ermöglichen, dem Gericht ihre persönlichen Beziehungen zu den übrigen Familienmitgliedern erkennbar zu machen. Die Anhörung dient also vor allem der Aufklärung des Sachverhalts und daneben der Gewährung rechtlichen Gehörs.[8]

Kritisch zu sehen ist dagegen die in Teilen der Literatur vertretene Auffassung, die Anhörung solle dem Kind auch "Selbstvertrauen geben", "sein Selbstvertrauen stärken" und es lernen lassen, "eine Lösung für ein Problem auf demokratische Weise zu entwickeln", denn "indem es geachtet und respektiert wird, lernt es auch, andere Menschen zu achten".[9] Ein solches Verständnis der Kindesanhörung dürfte den Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens verlassen, das den zur Entscheidung des Gerichts gestellten Konflikt nur mit rechtlichen und nicht mit pädagogisch-therapeutischen Mitteln befrieden kann.

Zu beachten ist ferner, dass jede gerichtliche Befragung für das Kind auch eine Belastung bedeutet. Vor allem in streitigen Verfahren wird es mit der Anhörung oft die Vorstellung verbinden, dass es um die Entscheidung für und gegen einen Elternteil geht, was Schuldgefühle hervorrufen und die weitere Eltern-Kind-Beziehung belasten kann.[10] Auch kann es vorkommen, dass das Kind sich selbst durch die Positionierung im Elternkonflikt die Verantwortung für das Trennungsleid zuschreibt.[11] Gerade wenn der Kindeswille schon durch andere Erkenntnisquellen ausreichend sicher festgestellt werden kann, wird das Gericht seine Entscheidung vor allem bei Vorschulkindern zudem ohnehin in der Regel nicht allein auf die Eindrücke aus einer persönlichen Anhörung stützen. In einem solchen Fall macht das Kind die Erfahrung, dass es zwar gefragt, seine Äußerung aber nicht zur Grundlage der gerichtlichen Entscheidung gemacht wird, was zu Enttäuschung und Frustration führen kann. Daher gilt: Im Zweifel sind auch kleinere Kinder anzuhören, die Entscheidung für oder gegen die Anhörung bedarf aber in jedem Fall gründlicher Überlegung, die im Fall der unterbliebenen Anhörung auch in den Gründen der gerichtlichen Entscheidung darzustellen ist.[12]

Bei der Bewertung des Ergebnisses der Anhörung sollten Familienrichter/-innen sich ihrer Grenzen bewusst sein. So weist der BGH zwar zu Recht darauf hin, dass sich aus dem Verhalten eines Kindes auch dann Rückschlüsse a...

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