Das Gesetz begrenzt die Unterhaltspflicht durch die Leistungsfähigkeit: "Unterhaltspflichtig ist nicht, wer … außerstande ist, ohne Gefährdung seines angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren" (§ 1601 Abs. 1 BGB). Der BGH hat diese Grenze treffend dahin umschrieben, dass der Unterhaltspflichtige "eine spürbare und dauerhafte Senkung seines berufs- und einkommenstypischen Unterhaltsniveaus … jedenfalls insoweit nicht hinzunehmen [braucht], als er nicht einen nach den Verhältnissen unangemessenen Aufwand betreibt oder ein Leben im Luxus führt." Mangels greifbarer Anhaltspunkte, wie die dafür erforderlichen Mittel zu bemessen sind, hatte die Praxis als Selbstbehalt einen Sockelbetrag (aktuell 2.000 EUR, zuvor 1.800 EUR) zuzüglich der Hälfte des diesen Betrag übersteigenden Einkommens angesetzt. Die Berechnung bezieht sich lediglich auf das "unterhaltsrelevante Einkommen". Die zuvor zur Bereinigung des Einkommens abgesetzten Aufwendungen gehören indes ebenfalls zum eigenen Bedarf, weshalb methodisch ein verzerrtes Bild von dem für die Lebensführung insgesamt erforderlichen Betrag entsteht. Bei Fortführung dieser Berechnung ergäbe sich ein Unterhaltsanspruch, sobald das Nettoeinkommen einen verhältnismäßig geringen Sockelbetrag übersteigt. Es wäre jedoch nicht mehr zu vermitteln, wenn von zwei Geschwistern die Schwester 1.000 EUR Unterhalt zahlen müsste, weil ihr Einkommen geringfügig über 100.000 EUR liegt, der Bruder mit einem um 500 EUR geringeren Bruttoverdienst hingegen nichts. Damit wäre der größtmögliche Unfrieden in der Familie vorprogrammiert – was wiederum weder mit Art. 3 GG zu vereinbaren wäre noch dem gesetzgeberischen Ziel entspräche, den Sozialverband "Familie" als Ganzes zu stärken.
Solche strukturellen Verwerfungen lassen sich nur durch eine deutliche Anhebung des angemessenen Eigenbedarfs vermeiden. Maßstab hierfür ist zunächst einmal die sozialrechtliche Vorgabe, wonach bei Bruttoeinkünften von bis zu 100.000 EUR die Leistung von Unterhalt als eine nicht mehr zumutbare Belastung gilt. Bei allen Unwägbarkeiten, die mit diesem Ausgangspunkt verbunden sind, dürfte nach der vorstehenden Berechnung der angemessene Eigenbedarf für einen Alleinstehenden nicht unter 5.000 EUR liegen, zumal sonstige unterhaltsrechtlich relevante Parameter für den Anspruchsübergang unerheblich sind. Weitere Anhaltspunkte bietet die Rechtsprechung des BGH zum Ehegattenunterhalt. Bei einem unterhaltsrechtlich bereinigten Einkommen von bis zu. 11.000 Euro – dem Doppelten des Höchstsatzes der Düsseldorfer Tabelle – besteht danach die tatsächliche Vermutung eines vollständigen Verbrauchs dieses Einkommens ausschließlich für Konsumzwecke. Wenn zur Bestimmung des allgemeinen Lebensbedarfs zweier Eheleute auf eine solche Vermutung zurückgegriffen werden kann, kann beim Verwandtenunterhalt kein engerer Maßstab angelegt werden. Es gibt daher gewichtige Gründe, den angemessenen Eigenbedarf im Interesse einer gleichförmigen Rechtsanwendung auf den Höchstsatz der Düsseldorfer Tabelle anzuheben. Eine großzügig bemessene Pauschale entspricht dem vom Gesetzgeber angestrebten Ziel, die betroffenen Familien wirksam zu entlasten. Sie wirkt zugleich streitvermeidend und gewährleistet eine gewisse Zukunftssicherheit.
Der vorstehend beschriebene Eigenbedarf entspricht nicht mehr dem bisherigen Rechenmodell. Es handelt sich um eine auf die liquiden Mittel bezogene Pauschale. Dem vom Gesetzgeber durch den Bezug auf § 16 SGB IV vorgegebenen Bruttoeinkommen ist unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ein Nettobetrag zuzuordnen, der einem Alleinstehenden eine auskömmliche Lebensführung i.S.v. § 1603 Abs. 1 BGB ermöglicht. Eine Individualisierung ergibt sich zunächst aus der Einkommensberechnung. Vom Bruttoverdienst sind abzuziehen:
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Werbungskosten |
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Steuern vom Einkommen
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Einkommensteuer |
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Kapitalertragsteuer |
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Solidarzuschlag |
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Kirchensteuer |
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Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in gesetzlicher Höhe oder bei freiwilligen Versicherungen in einem angemessenen Umfang sowie |
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Beiträge zur gesetzlichen oder privaten Altersvorsorge |
Ein auf diese Weise ermittelter angemessener Eigenbedarf ist nicht weiter auf seine Verwendung zu überprüfen. Der Pauschbetrag soll vielmehr eine oft als unangebracht empfundene Kontrolle und Bewertung der Lebensführung des Unterhaltspflichtigen vermeiden. Kleinteilige Streitigkeiten darüber, wie einzelne Sachbezüge zu bewerten sind, ob Kredit- und Leasingraten für das Auto zu hoch ausfallen, die Kosten einer Implantatversorgung noch angemessen sind oder die Haltung eines Reitpferds bereits den Luxusaufwendungen zuzurechnen ist, sollten der Vergangenheit angehören. Dies schließt es naturgemäß nicht aus, dass der Pflichtige auch künftig höhere Verpflichtungen geltend machen kann, wenn diese das für die Lebensführung verfügbare Einkommen zu sehr belasten. Aber schon die Frage, in welchem Umfang die Aufwendungen für eine ergänzende Altersvorsorge als besondere Belastung anzu...