Mit den vorstehend beschriebenen Gesetzesänderungen beabsichtigt der Gesetzgeber eine Entlastung von Kindern pflegebedürftiger Eltern. Soweit Unterhaltsansprüche beim Einkommen unberücksichtigt bleiben und der Regressausschluss wirkt, gilt die Maxime vom Primat des Unterhaltsrechts vor dem Sozialrecht nicht mehr. Als primäre Leistung treten die verschiedenen Hilfen des SGB XII an die Stelle des Unterhalts. Unterhaltsberechtigten obliegt es wie schon bisher bei den Grundsicherungsleistungen auch die Hilfen nach den übrigen Kapiteln des SGB XII in Anspruch zu nehmen. Da die Höhe des Bedarfs und die Anrechnung des zu berücksichtigenden Einkommens vom Sozialrecht abschließend vorgegeben werden, verbleibt kein ungedeckter Bedarf, für den noch Unterhalt beansprucht werden könnte. Von Angehörigen gleichwohl erbrachte Zuwendungen wären als Einkommen zu berücksichtigen und mindern wiederum den Leistungsanspruch. Es ist daher nach wie vor nicht möglich, die wirtschaftliche Situation der Hilfebedürftigen durch zusätzliche Leistungen nachhaltig zu verbessern.
Neben der Einschränkung des Nachrangs gibt das Sozialrecht mit dem nunmehr für das Fürsorgerecht einheitlichen Grenzbetrag einen Rahmen vor, der als allgemeine Belastungsgrenze für den einzelnen Einkommensbezieher gelten kann. In typisierender Weise lässt der Gesetzgeber erkennen, dass bei einem unterhalb von 100.000 EUR liegenden Jahreseinkommen weitere Unterhaltsleistungen nicht ohne eine signifikante Einschränkung der eigenen angemessenen Lebensstellung aufgebracht werden können. Dieser Vorgabe entsprechen die bisherigen unterhaltsrechtlichen Selbstbehaltssätze nicht mehr – das Unterhaltsrecht muss sich an die veränderten Rahmenbedingungen anpassen.
Die einheitliche Einkommensgrenze von 100.000 EUR verschleiert, wie sehr die Zusammensetzung der Einkünfte sowie der berufliche und familiäre Status die letztlich verfügbaren Nettoeinkommen beeinflussen. Steuerabzugsmerkmale (Familienstand, Kinder), gesetzlich vorgeschriebene oder private Vorsorgeaufwendungen, der Steuertarif und andere vorrangige Belastungen bleiben unberücksichtigt. Entsprechend unterschiedlich sind die tatsächlichen Lebensverhältnisse, die sich hinter dem einheitlichen Grenzwert verbergen. Es ist daher nur möglich, sich diesem Einkommen in einer typisierten Modellbetrachtung zu nähern – und zwar unabhängig von den Methoden, die bisher seitens der Rechtsprechung zum Verwandtenunterhalt entwickelt worden sind.
Da sich das Gesetz auf die Einkommensdefinition mit § 16 SGB IV auf eine allgemeine Bemessungsvorschrift für die Sozialversicherung bezieht, liegt es nahe, als Ausgangspunkt das Nettoeinkommen für einen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit einem Jahresbruttoeinkommen von 101.000 EUR (= 100.000 EUR SdE) zu nehmen, der ledig und kinderlos ist und keine weiteren Aufwendungen hat.
Daraus ergibt sich prognostisch folgende Berechnung
Jahresbruttoeinkommen |
101.000 Euro |
101.000 Euro |
./. Werbungskosten Pauschbetrag |
1.000 Euro |
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Summe der Einkünfte = GdE |
100.000 Euro |
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./. Einkommensteuer, zvE 89.850 |
28.960 Euro |
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./. Solidaritätszuschlag |
1.590 Euro |
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./. Rentenversicherung |
6.860 Euro |
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./. Krankenversicherung |
4.220 Euro |
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./. Pflegeversicherung |
830 Euro |
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./. Arbeitslosenversicherung |
920 Euro |
./. 43.400 Euro |
Nettoeinkommen |
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57.600 Euro |
Dies entspricht einem Monatseinkommen von 4.800 EUR, das frei für die Lebensgestaltung zur Verfügung steht. Durch den ab 2021 stark reduzierten Solidarzuschlag ist vom nächsten Jahr an mit einem monatlich um etwa 100 EUR höheren Nettoeinkommen zu rechnen.
Kinder mit einem den Grenzbetrag übersteigenden Einkommen können weiterhin im Wege des Regresses in Anspruch genommen werden. Allerdings bedarf dies einer detaillierten Prüfung, weil auch bei höheren Einkommen eine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit aufgrund weiterer anzuerkennender Verpflichtungen nicht generell unterstellt werden kann. Dies führt zwangsläufig zu der Frage, welche Folgen die sozialrechtlichen Änderungen für die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit haben.