In der vertikalen Linie entsteht Familie hauptsächlich durch Verwandtschaft. Diese beruht traditionell und auch heute im Regelfall auf genetischer Abstammung, das ist die Grundvorstellung. Freilich: Nach unserem Recht genügt die Genetik nicht allein. Bei der Mutterschaft wird sie durch das Element der Geburt überlagert (§ 1591 BGB) – in der Annahme, dass die Gebärende meist auch die genetische Mutter sei. Bei der Vaterschaft bedarf es einer rechtlichen Zutat (Ehe, Anerkenntnis, gerichtliche Vaterschaftsfeststellung), welche die genetische Verbindung bestätigen soll. Also wird die Verwandtschaft zwischen Kind und Vater nicht allein schon durch genetische Abstammung begründet, es muss eine rechtliche Bestätigung hinzukommen.
Die Abstammung ist bekanntlich nicht der einzige Entstehungsgrund für Verwandtschaft. Diese kann auch auf Willensakten beruhen, auf einer Wahl. Wir können von Wahlverwandtschaft sprechen (in anderem Sinne freilich als in Goethes gleichnamigem Roman). Hauptbeispiel ist die Adoption. Es gehören hierher aber auch Konstellationen, bei denen bewusst und gewollt eine rechtliche Abstammungsbeziehung abweichend von der genetischen Lage geschaffen wird. Wenn eine genetisch unzutreffende Elternschaft vom Recht nachhaltig anerkannt ist, begründet sie eine dauerhafte Verwandtschaft, auch mit Wirkung für künftige Generationen: Der gesamte künftige Stammbaumverlauf wird "genetisch falsch", bleibt aber, wenn keine wirksame Anfechtung erfolgt, rechtsbeständig.
Auch diese durch Willensakte hergestellte Verwandtschaft ist statusbestimmend und somit "Familie". Das ist der Hebel für die aktuellen Reformforderungen zum Abstammungsrecht: Wunschmüttern und Wunschvätern soll es erleichtert werden, Kinder zu haben, die genetisch nicht von ihnen abstammen, oder die sie – was die Wunschmütter betrifft – möglicherweise auch nicht selbst geboren haben.
"Familie" in der vertikalen Linie kann schließlich auch auf eine dritte Weise entstehen, nämlich durch psycho-soziale Realität, durch "soziale Elternschaft"/"soziale Kindschaft", also durch das Leben von Kindern mit Erwachsenen so als ob es ihre Eltern wären. Auch diese Grundlage für Familie wird immer wichtiger. Schon lange sind die Stief- und Pflegefamilien als Familie im Sinne des Grundgesetzes anerkannt. Das Bundesverfassungsgericht verfolgt bei Art. 6 Abs. 1 GG eine auf das Faktische ausgerichtete Linie: "Familie ist die tatsächliche Lebens- und Erziehungsgemeinschaft zwischen Kindern und Eltern, die für diese Verantwortung tragen". Nicht maßgeblich ist, ob die Kinder von den Eltern abstammen; die soziale Familie ist unabhängig von der rechtlichen Elternschaft einbezogen.
Diese drei möglichen Grundlagen der Familienbeziehung in der vertikalen Linie – genetische Abstammung, Verwandtschaft kraft Willensakts, psycho-soziale Realität – können in ein Spannungsverhältnis zueinander geraten, wenn sich für eine Person eine Koinzidenz von mehreren konkurrierenden Familienbeziehungen ergibt. Man denke an die Spannungen bei der Pflegekindschaft zwischen rechtlichen und sozialen Eltern oder an die Spannungen beim Umgangsrecht zwischen rechtlichen und genetischen Eltern (dem "nur leiblichen Vater").
Bei Koinzidenz und Konkurrenz von Familienbeziehungen muss das Recht bei Widerstreit der Interessen werten und entscheiden. Selbst die Verwandtschaft aufgrund Willensakts und die Verwandtschaft aufgrund Abstammung können sich überlagern, wenn z.B. trotz wirksamer Adoption den Herkunftseltern noch ein Umgangsrecht eingeräumt wird, wie dies für einen Samenspender entschieden wurde. Bei der Interessenwertung stoßen kontroverse Grundauffassungen aufeinander: Wie wichtig ist für den Menschen die Abstammung? Wie wichtig sind die gewachsenen sozialen Bindungen? Wie wichtig sind der rechtliche Status und seine Kontinuität?
Im Widerstreit mit den Statusverhältnissen hat es die "soziale Familie" zunächst einmal schwer. Sie hat das Problem, dass sie gewöhnlich kein dauerhaftes Rechtsfundament vermittelt. Ihre Rechtswirkungen müssen jeweils aus einer wandelbaren psycho-sozialen Realität abgeleitet werden. Die "sozial-familiäre Beziehung" erzeugt einzelne Rechtswirkungen, aber keine generelle Zuordnung. Das Kind beerbt nicht seine Pflegeeltern, jedenfalls nicht kraft Gesetzes, es hat gegen sie keinen Unterhaltsanspruch, usw. Die "Stärkung der sozialen Familie", die immer wieder gefordert wird, muss den Weg gehen, sie durch Anhäufung von Rechtswirkungen den Statusverhältnissen möglichst anzunähern. So verstehe ich die fortlaufenden Bemühungen, den Pflegeeltern Schritt für Schritt eine stärkere Position zu verschaffen, zuletzt durch das Kinderstärkungsgesetz vom Juni 2021, das die Möglichkeit schuf, den dauerhaften Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie anzuordnen.
Das Überlagern von familiären Rechtsbeziehungen unterschiedlicher Art macht es im Übrigen problematisch, wenn wir den Begriff "rechtlich" allein auf das Statusverhältnis zu beziehen (z.B. "rechtliche Eltern"). Denn s...