Über Erbrecht und Unterhalt hinaus gibt es zahllose weitere Regelungen, in denen die Tatsache, dass zwei Personen in bestimmter Weise miteinander verwandt oder auch verschwägert sind, Rechtsfolgen zeitigt, etwa im Namens- und Staatsangehörigkeitsrecht. Alle einschlägigen Vorschriften aufzulisten, würde ins Endlose führen. Im Überblick fällt auf, dass viele Normen die Bedeutung der Verwandtschaft zwar anerkennen, aber doch erheblich relativieren, sobald es sich nicht um das Verhältnis zwischen Eltern und sorgebedürftigen Kindern, sondern zwischen Erwachsenen geht.

Häufig erscheint die Verwandtschaft nur als Unterfall oder Parallelfall zu einem allgemeineren Begriff wie "Vertrauensperson",[44] "Angehörige"[45] "nahe Angehörige",[46] "nahestehende Person"[47] oder "Bezugsperson".[48] Dann ist die Verwandtschaft als Unterfall eines persönlichen Näheverhältnisses gesetzt, das auch ohne sie bestehen kann. Oft ist es die Verwandtschaft nicht allein, die eine Rechtsfolge trägt, es müssen andere sinngebende Elemente hinzukommen. So wird Großeltern und Geschwistern ein Umgangsrecht nur gewährt, wenn der Umgang dem Kindeswohl dient (§ 1685 Abs. 1 BGB).

Oft ist die rechtliche Familienbeziehung auch nur ein Indiz für ein anderes, eigentlich entscheidendes Kriterium. Dahinter steht die Vorstellung, dass mit enger Verwandtschaft typischerweise bestimmte Verhaltensweisen und Einstellungen verbunden sind: Zusammengehörigkeitsgefühl, Vertrautheit, Hilfsbereitschaft. Dann ist nicht die Verwandtschaft als solche ausschlaggebend, sondern der mit ihr vermutete psycho-soziale Tatbestand.

Bei Durchsicht solcher Regelungen offenbart sich die köstliche Vielfalt deutscher Rechtsvorschriften. Schon die für persönliche Näheverhältnisse gewählten Bezeichnungen wechseln sich, wie gezeigt, weithin beliebig ab. Auch die erfassten Personenbeziehungen variieren von Norm zu Norm: Einmal sind die Schwägerinnen und Schwäger dabei, einmal nicht, ebenso die Schwiegerkinder. Nur wenige Verordnungsgeber bemerken, dass es auch lebende Urgroßeltern gibt.[49] Höhepunkte der Variabilität bieten erwartungsgemäß die sich jagenden Infektionsschutzverordnungen der deutschen Länder.

[44] "Vertrauensperson" z.B. § 274 Abs. 4 Nr. 1; § 315 Abs. 4 Nr. 2 FamFG (Kann-Beteiligte am Betreuungsverfahren).
[45] "Angehörige" z.B. § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB; § 15 Handbuch Abgabenordnung 2021.
[46] "Nahe Angehörige" z.B. Stasi-Unterlagen-Gesetz § 15 Abs. 3; "nächste Angehörige" z.B. in § 1a Nr. 5 Transplantationsgesetz.
[47] "Nahestehende Person" z.B. § 1 Abs. 1 Nr. 5, 6; Abs. 2 Nr. 4 Freizügigkeitsgesetz EU.
[48] "Bezugsperson" z.B. § 20a Einsatz-Weiterverwendungsgesetz.
[49] Wohl aber z.B. die Corona-Landesverordnung von Mecklenburg-Vorpommern vom 34.4.2021, § 5 Abs. 6.

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