Das OLG Stuttgart hat mit Beschl. v. 8.8.2023 – 15 WF 132/21 die zulässigen Beschwerden der beiden Opferschutzorganisationen für begründet erachtet und die amtsgerichtliche Kostenentscheidung abgeändert. Es hat angeordnet, dass für das erstinstanzliche Verfahren von der Erhebung von Gerichtskosten abgesehen wird und außergerichtliche Kosten nicht erstattet werden. Eine entsprechende Kostenentscheidung ist vom OLG für das Beschwerdeverfahren getroffen worden.
Abgesehen davon, dass das Amtsgericht unter Verstoß gegen § 82 FamFG die angegriffene Kostenentscheidung in einem gesonderten Beschluss getroffen hat, komme im vorliegenden Fall eine Kostentragungspflicht der beiden Opferschutzorganisationen nach § 81 Abs. 4 FamFG in der Sache nicht in Betracht. Zur Begründung hat es dazu ausgeführt:
Nach § 81 Abs. 4 FamFG können einem Dritten die Kosten des Verfahrens nur auferlegt werden, soweit die Tätigkeit des Gerichts durch ihn veranlasst wurde und ihn ein grobes Verschulden trifft. Eine Tätigkeit des Gerichts muss von einer nicht am Verfahren beteiligten Person verursacht worden sein. Sie muss nicht den Anstoß zum Verfahren gegeben haben; es genügt, dass sie ein Teilstück (z.B. eine Beweisaufnahme oder eine Begutachtung) veranlasst hat. Es reicht daher aus, dass der Dritte durch falsche Angaben einen Teil des gerichtlichen Verfahrens beeinflusst. In Verfahren, die von Amts wegen einzuleiten sind, genügt es, dass der Dritte die Anregung zum Einschreiten des Gerichts gegeben hat. Zwischen seinem Verhalten und dem Tätigwerden des Gerichts muss also ein Kausalzusammenhang bestehen. Hätte das Gericht das Verfahren jedoch auch ohne die Angaben des Dritten zum selben Zeitpunkt aufgrund anderer Erkenntnisse eingeleitet, fehlt es in wertender Betrachtung an der Veranlassung. Denn in diesem Fall wären die Kosten aufgrund des aus anderen Gründen gebotenen Einschreitens ebenfalls entstanden, sodass es an der inneren Rechtfertigung für eine Kostenüberwälzung auf den Dritten als Sanktion für sein grobes Verschulden fehlt. Dabei genügt Mitveranlassung, wenn es ohne den Tatbeitrag des Dritten nicht zum Verfahren gekommen wäre.
Außerdem ist die Kostentragungspflicht des Dritten davon abhängig, dass diesen ein grobes Verschulden am Tätigwerden des Gerichts trifft. Das grobe Verschulden muss zweifelsfrei festgestellt werden und gerade in Bezug auf das Verhalten des Dritten vorliegen, das das Gericht zur Verfahrenseinleitung veranlasst hat. Es setzt entweder Vorsatz oder ein fahrlässiges Verhalten voraus, das die nach den Umständen erforderliche Sorgfalt in außergewöhnlich großem Maß außer Acht lässt und das nicht beachtet, was jedem einleuchten muss. Solches liegt insbesondere vor, wenn der Dritte Verfahrenseinleitungen anregt und dabei leichtfertig falsche oder Behauptungen aufstellt, die die wahren Tatsachen entstellen. Handelt es sich bei dem Dritten um eine juristische Person, sind die Kosten nicht dieser aufzuerlegen, sondern der natürlichen Person, die verantwortlich für die juristische Person gehandelt hat. Dies ergibt sich aus dem Charakter der Kostenauferlegung nach § 81 Abs. 4 FamFG als verschuldensbezogene Sanktion.
Bei Zugrundelegung dieser rechtlichen Grundsätze vermag das OLG Stuttgart weder eine seitens der beiden Opferschutzorganisationen verursachte amtswegige Verfahrenseinleitung noch ein grobes Verschulden festzustellen. Das Amtsgericht habe das ursprünglich Anfang 7/2019 eingeleitete Sorgerechtsverfahren bereits kurz danach in ein Kinderschutzverfahren übergeleitet. Es sei nicht ersichtlich, dass die Opferschutzorganisationen durch ihr Handeln das Kinderschutzverfahren eigenständig in Gang gebracht hätten. Auch eine mittelbare Verfahrenseinleitung scheide aus. Bereits am 23.7.2019 habe das Amtsgericht aufgrund der von den Kindeseltern wechselseitig erhobenen Vorwürfe (u.a. sexueller Missbrauch gegenüber dem Kindesvater sowie Münchhausen-by-proxi-Syndrom gegenüber der Kindesmutter) ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben. Weiterhin könne das OLG aufgrund der Komplexität des Falles, aber auch "aufgrund des Ermittlungseifers der Amtsrichterin" nicht erkennen, dass durch die Beteiligungen der Opferschutzorganisationen weitere, von dem bisher eingeleiteten Verfahren nicht abhängige Beweisaufnahmen erforderlich geworden seien. Das OLG weist an dieser Stelle ausdrücklich darauf hin, dass die beiden Beschwerdeführer als Opferschutzorganisationen "nicht zur absoluten Neutralität verpflichtet sind, vielmehr aus subjektiver Sicht die Interessen eines vermeintlich missbrauchten Kindes vertreten, mögen auch die gesamten Umstände für eine durchaus distanzierte Sichtweise sprechen. Nur im evidenten, von vornherein aussichtslosen Fällen, die vorliegend nicht gegeben sind, kann überhaupt eine Kostenbeteiligung einer Opferschutzorganisation in Betracht gezogen werden, wobei dem Gericht ohnehin diesbezüglich ein Ermessen zusteht."
Außerdem fehle es an einem groben Verschulden, denn es sei nicht ersichtlich, dass von den beiden...