I. Problemstellung
Mit Blick auf die Entscheidung des BGH vom 15.3.2006 wurde in der obergerichtlichen Rechtsprechung vereinzelt die Auffassung vertreten, der Rechtsgedanke des Karrieresprungs besitze keine Geltung mehr. Aus der Überlegung des BGH, dass das Hinzutreten vorrangiger oder gleichrangiger weiterer Unterhaltsberechtigter nach Rechtskraft der Ehescheidung sich auf den Unterhaltsbedarf des geschiedenen Ehegatten auswirke, folge gleichzeitig, dass ein Karrieresprung ebenso unerwartet sei wie die Geburt eines Kindes in zweiter Ehe oder nachehelicher Partnerschaft des Unterhaltsschuldners. Die Einkommensentwicklungen infolge Karrieresprungs seien daher ebenso als eheprägend anzusehen, so dass als Konsequenz hieraus abgeleitet werden könne, dass in der künftigen Rechtsprechung für eine Anwendung der Rechtsgedanken zum Karrieresprung kein Raum mehr sei.
Unbeschadet der Frage, inwieweit diese Argumentation einer rechtlichen Überprüfung standhält, hat der BGH in zeitlich folgenden Entscheidungen unverändert den Rechtsgedanken des Karrieresprungs erörtert und damit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese Thematik auch weiterhin in der rechtlichen Argumentation eine Rolle spielt.
Vor diesem Hintergrund sollen nachfolgend zwei aktuelle, bislang nicht veröffentlichte obergerichtliche Entscheidungen miteinander verglichen werden, in denen die in Rede stehende Problematik zu diskutieren war.
II. Urteil des OLG Celle vom 7.11.2007, AZ 15 UF 56/07
1.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien hatten im Jahr 1990 die Ehe miteinander geschlossen, aus der zwei Kinder im derzeitigen Alter von 16 und 12 Jahren hervorgegangen sind. Die Trennung erfolgte zur Jahresmitte 1999.
Der Unterhaltsschuldner hatte nach Abschluss seines Studiums, im Jahr 1980, ab 1985 eine Assistenzarztstellung in einem Krankenhaus aufgenommen. Im März 1989 erhielt er dort die Position eines Funktionsoberarztes; im August 1991 erfolgte die Beförderung zum Oberarzt. Im Juli 2004 wurde er im gleichen Krankenhaus zum Chefarzt berufen, nachdem in den Jahren 1993 und 1994 veranlasste auswärtige Bewerbungen um eine Chefarztposition ohne Erfolg geblieben waren.
Den zur Titulierung begehrten Trennungsunterhalt der Ehefrau hat das OLG Celle ermittelt in Fortschreibung der Erwerbseinkünfte des Ehemannes aus seiner früheren Position als Oberarzt.
2.
Zur Begründung seiner Entscheidung ist das OLG Celle von folgenden Überlegungen ausgegangen:
2.1
Abgehoben hat es zunächst darauf, dass bei der Bemessung des Trennungsunterhalts und der Frage, ob eine eheprägende Einkommensentwicklung vorliegt, auf die maßgeblichen Verhältnisse Bezug genommen werden müsse, wie sie zum Zeitpunkt der Trennung bestanden hätten und nicht wie sie sich gegebenenfalls zum späteren Zeitpunkt der Rechtskraft der Ehescheidung darstellten.
2.2
Eine klare Absage hat das OLG Celle der vorab in der Einleitung dargestellten Rechtsauffassung des OLG Düsseldorf (FamRZ 2007, 1815 ff.) erteilt, wonach aus dem Gesichtspunkt der "wandelbaren Lebensverhältnisse", wie er in der Rechtsprechung des BGH entwickelt wurde, abzuleiten sei, dass der Rechtsgedanke des Karrieresprungs keine Geltung mehr besitzen könne. Hierzu führt das OLG Celle vielmehr aus, dass mit Blick auf das in der aktuellsten Rechtsprechung des BGH unverändert verwendete Kriterium der unerwarteten und vom Normalverlauf abweichenden Einkommensentwicklung abgeleitet werden könne, dass der Unterhaltsgläubiger am Lebensstandard des Unterhaltsschuldners nur insoweit teilhabe, als dieser durch gemeinsame Leistung der Ehegatten erreicht wurde.
2.3
Auf den Einzelfall bezogen hat das OLG Celle in seiner Entscheidung besonders hervorgehoben, dass
- eine Berufung zum Chefarzt fünf Jahre nach der Trennung eine unerwartete und vom Normalverlauf erheblich abweichende Entwicklung darstelle, da zum Trennungszeitpunkt nicht mit so hoher Wahrscheinlichkeit diese spätere Tätigkeit einkalkuliert werden konnte, als dass eine Einrichtung des Lebenszuschnitts hierauf möglich gewesen sei;
- die jetzige Chefarzttätigkeit keine durch die Lebensgemeinschaft zumindest mitbegründete gemeinsame Leistung der Ehegatten darstelle; unerheblich sei hierbei, dass der Unterhaltsschuldner seine grundlegende berufliche und fachliche Qualifikation bereits vor und während der ehelichen Lebensgemeinschaft erworben habe. Zwar stellten berufliche Veränderungen und Anpassungen an die wechselnden Bedingungen des Arbeitsmarktes keine unerwartete und vom Normalverlauf abweichende Entwicklung dar, doch müssten im Rahmen der beruflichen Entwicklung die weiteren tatsächlichen Verhältnisse in einer Gesamtbetrachtung wertend beurteilt werden;
- besondere Berücksichtigung dabei die Tatsache finden müsse, dass das Kranken...