Anmerkung
Mit der vorstehenden Entscheidung vom 11.9.2007 – XII ZB 41/07 – und derjenigen vom 17.10.2007 – XII ZB 42/07 – hat der BGH einen familienrechtlichen "Schulterschluss" mit der Entscheidung des BVerfG vom 31.5.2006 zur strafrechtlichen Verfolgung von Verstößen gegen die allgemeine Schulpflicht aus religiösen Gründen vollzogen und damit vollendet, was die Oberlandesgerichte Brandenburg mit dem Beschl. v. 14.7.2005 und Hamm mit dem Beschl. v. 25.8.2005 begonnen haben.
In derartigen Fällen führt der schonende Ausgleich (die praktische Konkordanz) zwischen Elternrecht und Religionsfreiheit, Art. 6 Abs. 2 u. 4 Abs. 1 GG, einerseits und staatlichem Erziehungsauftrag, Art. 7 Abs. 1 GG, andererseits zum Vorrang der Schulpflicht. Diese ist notfalls durch strafrechtliche Sanktionen und durch einen Sorgerechtseingriff und eine für den insoweit zu bestellenden Pfleger verpflichtend vorzunehmende Zuführung zur Schule durchzusetzen.
Mit seinen rigorosen, die Vorinstanz in Bezug auf die nachsichtige Haltung gegenüber der Pflegerin "abstrafenden" Entscheidungen provoziert der BGH allerdings die Frage, wie genau er es denn mit der praktischen Konkordanz hält. Schon mit der "Eindeutschung" des Begriffs "homeschooling" in "Hausunterricht" noch dazu durch eine Mutter, "die über keine einschlägige Vorbildung verfügt", verschärft er das Problem. Die bisher von der höchstrichterlichen Rspr. verwendete Übersetzung mit "Heimschule" war allerdings missverständlich in Richtung Schule eines Kinderheims, eine durchaus zulässige Schulform (Ersatzschule). Ein Blick in Langenscheidts Taschenwörterbuch verschafft Aufklärung, "schooling" bedeutet "(Schul)Ausbildung"; "homeschooling" kann daher nur bedeuten "Schulausbildung zu Hause", eine in den USA und, wie die BGH-Entscheidungen zeigen, auch in Österreich zulässige und gängige Form der Erfüllung der Schulpflicht. Bekannt geworden ist sie hierzulande insbesondere unter dem Stichwort "Philadelphia-Schulprogramm", das eine Anbindung an eine anerkannte Ersatzschule und die Vorgabe von Lernmaterialien vorsieht. Die entsprechende gesetzliche Regelung in Österreich wird vom BGH ausführlich dargestellt und zugleich für Deutschland verworfen. Das deutsche Schulrecht kennt nur zwei Ausnahmen von der Anwesenheitspflicht in der Schule, aus gesundheitlichen Gründen der Schüler und aus beruflichen Gründen der Eltern bei Schausteller- und Zirkus-Kindern, denen in Anlehnung an ihre Stammschule häuslicher Unterricht erteilt werden kann.
Die obligatorische Anwesenheit in der Schule dient in Deutschland nach Auffassung des BGH dazu, "der Entstehung von "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren". Nun stellt sich allerdings die Frage, ob von der kleinen Sektierer-Schar der "Baptisten" in Paderborn, der "Sieben-Tages-Adventisten" in Brandenburg oder gar der "Zwölf-Stämme" in Bayern eine solche Gefahr auch nur vorstellbar ist. Dies ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Vielmehr sind diese unbedeutenden Randgruppen wohl stellvertretend für die wirklich bedrohlichen Gruppierungen, nämlich islamistisch geprägte Migranten und die von den USA hereindrängende evangelikale Gruppierung der Leugner der Evolution und Verfechter des "Intelligenten Designs", zurechtgewiesen worden.
Die islamistisch geprägten Migranten haben die zivile Rspr. bisher mit eher harmlosen Fragen wie der Teilnahme der Töchter am Schwimmunterricht beschäftigt, stellen aber mit ihrer Ablehnung der Koedukation, Frauenfeindlichkeit und Infragestellung einer aufgeklärten Philosophie ein bedeutendes Gefährdungspotential für die moderne Schule dar. Das gilt gleichermaßen für die Forderung der Verfechter des "Intelligenten Designs", die Schöpfungsgeschichte im Biologieunterricht zu behandeln – in den USA schon in einzelnen Bundesstaaten verwirklicht, in Hessen immerhin von der zuständigen Ministerin vorgeschlagen, obwohl das BVerfG in der oben zitierten Entscheidung schon entschieden hat, dass die Evolutionstheorie in den Biologieunterricht und die Schöpfungsgeschichte in den Religionsunterricht gehören. Es erscheint denkbar, dass der EuGH die solchermaßen begründeten Entscheidungen des BVerfG und des BGH als unverhältnismäßige Überreaktion bewerten könnte, möglicherweise auch diskriminierend gegenüber der kleinen Minderheitengruppe. Es ist daher zu wünschen, dass die höchstgerichtlichen Entscheidungen sich endlich einmal den einschlägigen Vorschriften des SGB VIII, auch als KJHG bekannt, zuwenden; § 1 postuliert dort nämlich das gemeinsame Erziehungsziel von Eltern und Staat dahingehend, dass eigenverantwortliche und gemeinschaftsfähige Persönlichkeiten herangebildet werden sollen. Gemeinschaft können sie in den vielfältigen Angeboten der Jugendhilfe und müssen sie in der Schule erfahren. Die Gemeinschaftsfähigkeit umfasst begrifflich die Integration von Minderheiten gleichermaßen wie den Ausschluss der Organisation in geschlossenen Parallelgesellschaften mit eigener Sprache und eigene...