Jochem Schausten
Seit etwas mehr als einem Jahr leben wir Familienanwälte nun mit der Anfang 2008 in Kraft getretenen Reform des Unterhaltsrechts. Auch wenn bei weitem noch nicht alle mit dem neuen Recht verbundenen Fragen und Probleme geklärt sind, so lässt sich eine Tendenz ganz deutlich erkennen: Für unterhaltsberechtigte Ehegatten sind in deutschen Gerichtssälen harte Zeiten angebrochen.
Bei der Vorstellung der Gesetzesänderungen im April 2006 hatte die Bundesjustizministerin noch das Fazit gezogen, dass die beabsichtigten Änderungen das Unterhaltsrecht behutsam an eine geänderte gesellschaftliche Wirklichkeit und gewandelte Wertvorstellungen anpassen werden. Zweifelsohne war eine maßvolle Korrektur des Unterhaltsrechts zum damaligen Zeitpunkt erforderlich: Die damals bekannte Rechtsprechung zum nachehelichen Ehegattenunterhalt überzog – da war sich die Fachwelt wohl einig – in vielen Fällen das erforderliche Maß der nachehelichen Solidarität. Doch bereits in der Expertenanhörung im Oktober 2006 kritisierte Professor Dieter Schwab, dass sich das Risiko eines Scheiterns der Ehe einseitig auf den Ehegatten verlagere, der wegen der Familie seine berufliche Entfaltung eingeschränkt habe.
Dass diese Kritik berechtigt war, zeigt sich heute in der alltäglichen Praxis: Eine Ehefrau, bei der Trennung im Jahr 2003 51 Jahre alt, hat Mitte der 70er-Jahre den Beruf der Erzieherin gelernt und diesen bei der Eheschließung im Jahre 1977 bis zur Geburt der beiden Anfang der 80er-Jahre aus der Ehe hervorgegangenen Kinder auch ausgeübt. Der Ehemann ist Architekt und bei der Stadt angestellt. Die Ehe wurde im Jahr 2005 geschieden; die Ehefrau hat den Wiedereinstieg in ihren erlernten Beruf bis heute nicht mehr geschafft. Zwischendurch arbeitete sie für ein halbes Jahr als Bürokraft im Rahmen einer Arbeitsförderungsmaßnahme, weshalb das erzielte Gehalt fast vollständig von der Arbeitsagentur übernommen wurde. In der mündlichen Verhandlung vertrat das Gericht die Auffassung, die aus dieser zeitweise ausgeübten Tätigkeit erzielten Einkünfte könnten der Ehefrau als fiktives Einkommen zugerechnet werden und der dann verbleibende Unterhaltsanspruch sei auf 5–6 Jahre nach rechtskräftiger Scheidung zu befristen. Dem Umstand, dass die Ehefrau diese Stelle nur deshalb bekommen hatte, weil der Arbeitgeber eine entsprechende Förderung erhielt, wollte das Gericht keine Bedeutung beimessen. Ebenso wenig war es für das Gericht von Bedeutung, dass die Einkünfte aus dieser Tätigkeit geringer waren als diejenigen, welche die Ehefrau bei Fortsetzung ihrer Tätigkeit als Erzieherin heute erzielen würde.
Ein anderer Fall: Die Ehedauer zwischen Eheschließung und Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags betrug 25 Jahre. Laut Gutachten ist die Ehefrau zu 75 % erwerbsunfähig, wobei die zu Grunde liegende Erkrankung bereits bei Eheschließung bestand. Die Ehefrau hat für ca. 20 Jahre mit der Berufstätigkeit ausgesetzt, um ein gemeinsames Kind zu betreuen. Bei der Scheidung ist die Ehefrau 53 Jahre alt und bezieht eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von ca. 700 EUR. Das Gericht äußerte in der mündlichen Verhandlung die Auffassung, der Unterhaltsanspruch sei auf 2–3 Jahre nach Rechtskraft der Scheidung zu befristen.
Nachdem die Gerichte vor der Unterhaltsreform das erforderliche Maß der nachehelichen Solidarität häufig überzogen haben, besteht aus meiner Sicht nun die Gefahr, in das andere Extrem zu verfallen. Deshalb sei ein anderer Satz aus der Pressemitteilung zur Vorstellung des neuen Unterhaltsrechts im April 2006 in Erinnerung gerufen: "Unverändert gilt aber: Das Unterhaltsrecht muss in besonderem Maße dem Einzelfall gerecht werden und ein über Jahre gewachsenes Vertrauen in die nacheheliche Solidarität schützen." Erinnern wir die Gerichte daran, damit anstelle einer alten Ungerechtigkeit keine neue tritt!