1. Ausgangslage
Nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 und 3 BGB sind Eltern gegenüber minderjährigen Kindern, die ihren Unterhalt nicht aus dem Stamm ihres Vermögens decken können, verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem Unterhalt und zum Unterhalt der Kinder zu verwenden. Durch § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB wird die Leistungsfähigkeit der Eltern nach der Rechtsprechung des BGH über die Grenze der Gefährdung des eigenen angemessenen Unterhalts hinaus erweitert. Diese gesteigerte Unterhaltsverpflichtung beruht auf der besonderen Verantwortung der Eltern für den angemessenen und nicht nur den notwendigen Unterhalt ihrer minderjährigen Kinder. Wenn die tatsächlichen Einkünfte des Unterhaltsverpflichteten nicht ausreichen, so trifft ihn unterhaltsrechtlich die Obliegenheit, die ihm zumutbaren Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitsfähigkeit so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Die sich aus § 1603 Abs. 2 BGB ergebende verstärkte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern legt dem Unterhaltspflichtigen eine erhöhte Arbeitspflicht unter gesteigerter Ausnutzung seiner Arbeitskraft auf. Er ist unter Umständen auch verpflichtet, in zumutbaren Grenzen einen Orts- oder Berufswechsel vorzunehmen, wenn er nur auf diese Weise seine Unterhaltspflicht erfüllen kann. Kommt er dieser Erwerbsobliegenheit nicht nach, so muss er sich so behandeln lassen, als ob er ein Einkommen, das er bei gutem Willen erzielen könnte, auch tatsächlich hätte.
Durch die zunehmende Anzahl der Scheidungen und anschließenden Gründungen von neuen Familien mit weiteren Kindern müssen Unterhaltspflichtige häufig feststellen, dass ihr Einkommen nicht mehr ausreicht, um den Mindestunterhalt für alle minderjährigen Kinder sicherzustellen. Dann ergibt sich die Frage, ob und in welchem Umfang dem Unterhaltspflichtigen die Aufbringung zusätzlicher Einkünfte zugemutet werden kann und muss. Das Urteil des BGH vom 3. Dezember 2008 führt die Kriterien, die von den Gerichten vor einer Zurechnung fiktiver Einkünfte geprüft werden müssen, noch einmal anschaulich auf.
2. Inhalt der Entscheidung
Der Beklagte ist zwei Kindern, nämlich dem Kläger, geboren am 6. April 1990, und einem am 16. Mai 1992 geborenen weiteren Kind gegenüber unterhaltspflichtig. Aus seiner Vollzeittätigkeit erzielt er ein Einkommen in Höhe von netto 1.157,69 EUR. Mit einer Jugendamtsurkunde hat er sich verpflichtet, für den Kläger monatlich 147 EUR zu zahlen. Der Kläger verlangt ab Juli 2004 Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrags der 3. Altersstufe nach der früheren Regelbetrag-Verordnung, d.h. weitere 115,00 EUR monatlich, und ab Juli 2005 weitere 122,00 EUR monatlich. Das OLG Naumburg (4 UF 33/06 – zit. nach Juris) hat das zusprechende Urteil des Amtsgerichts bestätigt. Es hat dem Beklagten ein fiktives Einkommen in Höhe von 150 EUR monatlich zugerechnet, seinen Selbstbehalt wegen der tatsächlich geringeren Wohnkosten herabgesetzt und eine Kreditbelastung für die Anschaffung einer Küche nicht berücksichtigt.
Der BGH bestätigt in seiner Entscheidung zunächst die gewählte Klageart und stellt klar, dass die Klage auf weiteren Kindesunterhalt nach § 323 Abs. 1 und 4 ZPO als Klage auf Abänderung der von dem Beklagten errichteten Jugendamtsurkunde zulässig ist, weil auch bezüglich einer Jugendamtsurkunde ebenso wie bei anderen Unterhaltstiteln eine Vermutung dafür spricht, dass in einem Vorprozess der Unterhalt in voller Höhe und nicht nur als Teilbetrag geltend gemacht bzw. in der Urkunde tituliert worden ist. Hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen für eine Abänderung führt der BGH aus, dass diese sich nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) richten, wenn der Jugendamtsurkunde eine Vereinbarung der Parteien zu Grunde liegt. Bei Fehlen einer solchen Vereinbarung ist der Unterhaltsberechtigte, der an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt hat, an diese nicht gebunden und kann Abänderung auf der Grundlage der aktuellen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Unterhaltspflichtigen verlangen.
Hinsichtlich des Bedarfs des Klägers bestätigt der BGH den Grundsatz, dass sich der Bedarf eines minderjährigen Kindes bis zum 31. Dezember 2007 auf den Regelbetrag nach der früheren Regelbetrag-Verordnung und ab dem 1. Januar 2008 auf die Höhe des Mindestunterhalts nach § 1612 a BGB i.V.m. § 36 Nr. 4 EGZPO beläuft.
Die von dem OLG Naumburg vorgenommene Zurechnung fiktiver Nebeneinkünfte in Höhe von 150 EUR lehnt der BGH ab, weil der Unterhaltspflichtige in einem für die Unterhaltsberechnung zugrunde gelegten Zeitraum von 12 Monaten insgesamt 135 Überstunden abgeleistet hatte, deren Vergütung bereits Bestandteil des Nettogehalts war.
3. Einordnung der Entscheidung
Mit seinem Urteil nimmt der BGH nach einer längeren Pause erneut Stellung zu der Frage der Zumutbarkeit einer Nebentätigkeit für den Unterhaltspflichtigen.
4. Bedeutung des Urteils für die Praxis
Bei der Prüfung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtige...