Je nach betroffenem Ehegatten stellen sich die praktischen Probleme unterschiedlich dar. Zugrunde gelegt wird nachfolgend der – in der Praxis häufigere – Fall, dass bei der Ehefrau eine Depression vorliegt. Dass es umgekehrt aber auch der Ehemann sein kann, zeigt der schon erwähnte Fall des OLG Hamm.
1. Vertretung der Ehefrau
a) Aktueller Zustand und Vorgeschichte
Im Erstgespräch wird vom Anwalt regelmäßig nach aktueller Erwerbstätigkeit gefragt. Sofern diese unter Hinweis auf eine psychische Erkrankung verneint wird, sollte die Mandantin nach Einzelheiten gefragt werden (Art und Dauer der Erkrankung, bisherige Behandlungen). Eine EU-Rente entfaltet Indizwirkung, was allerdings geringfügige Erwerbstätigkeit nicht ausschließt.
Bestehen Zweifel an fachgerechter Diagnose und Behandlung (z.B. dann, wenn ein knapp gehaltenes Attest "nur" vom Hausarzt stammt), besteht Veranlassung zu der Empfehlung, einen Facharzt für psychische Erkrankungen aufzusuchen, verbunden mit dem Hinweis auf die einschlägigen unterhaltsrechtlichen Obliegenheiten, sich also nicht nur telefonisch zu melden und auf einen Rückruf zu warten.
Der Mandantin sollte empfohlen werden, die einschlägigen Aktivitäten und Bemühungen in geeigneter Form zu dokumentieren, wie es etwa im Fall von Bewerbungsbemühungen der Fall ist.
Besondere Veranlassung, die Mandantschaft auf die Notwendigkeit eines Facharzt-Besuchs hinzuweisen, besteht dann, wenn von früheren Suizidversuchen oder entsprechenden aktuellen Gedanken berichtet wird. Besondere Vorsicht ist auch geboten, wenn es schon ein Vorverfahren gegeben hat, in dem krankheitsbedingte Einschränkungen eine Rolle gespielt haben. Wurden dort von sachverständiger Seite Hinweise auf eine notwendige Behandlung gegeben und wurde diese nicht durchgeführt, spricht viel für eine unterhaltsbezogene Mutwilligkeit.
b) Einwand bisher fehlender Erwerbstätigkeit
Nicht selten wird von der Ehefrau der Einwand kommen, dass der Ehemann während der Zeit des Zusammenlebens keine Erwerbstätigkeit gewünscht oder sich sogar ausdrücklich dagegen ausgesprochen habe ("Du musst nicht arbeiten, ich verdiene doch genug").
Hier ist der Hinweis darauf erforderlich, dass sich aufgrund der Trennung eine geänderte Situation ergibt und der Grundsatz der wirtschaftlichen Eigenverantwortung – mit zunehmendem Abstand zum Trennungszeitpunkt in gesteigertem Umfang – an Bedeutung gewinnt. Dies ist im Übrigen auch im Schadensersatzrecht nicht anders: Die Witwe des getöteten Ehemannes trifft im Rahmen des § 254 BGB auch dann eine Arbeitspflicht, wenn eine Berufstätigkeit in der Ehe nie geplant war.
Bei Trennung bzw. Scheidung gilt das Gleiche.
c) Trennungsbedingter Auslöser
Vorsicht ist regelmäßig geboten bei dem Einwand der Ehefrau, ihre Depression sei durch das Verhalten des Ehemannes entstanden. Denn nach BGH ist eine solche psychische Erkrankung selbst dann nicht ehebedingt, wenn sie durch die Ehekrise oder Trennung ausgelöst worden ist.
Hier ist zu beachten, dass der Ursprung der Erkrankung meist weniger in der Ehe oder der Rollenverteilung liegt, sondern in den persönlichen Umständen der Beteiligten und ihrer schicksalhaften Entwicklung, sodass ein etwaiges Trennungsverschulden des anderen Ehegatten nicht erheblich ist.
Selbst wenn das anders sein sollte, lässt es die Obliegenheiten zur Behandlung beim Unterhaltsbedürftigen nicht entfallen. Nicht verlassen sollte man sich auf den – von sachverständiger Seite festzustellenden – Ausnahmefall, dass der erkrankte Ehegatte so schwer gestört ist, dass er nicht zu einer Behandlung motiviert werden kann. Das ist ähnlich riskant wie ein Sich-Verlassen auf eine "pauschale Negativprognose" und das Unterlassen von Bewerbungsbemühungen.
Letzteres ist nur dann folgenlos, wenn keinerlei realistische Beschäftigungschance besteht. Ansonsten können fiktive Einkünfte immer schon dann angesetzt werden, wenn nicht auszuschließen ist, dass Erwerbsbemühungen auch Erfolg gehabt hätten.
Auch wenn in der Vergangenheit keine Behandlungen stattgefunden haben und das vom anderen Ehegatten während der Zeit des Zusammenlebens hingenommen wurde, werden durch die Trennung die "Karten neu gemischt" mit der Folge, dass jetzt Obliegenheiten zur Behandlung bestehen, auf die der Anwalt – schon zu seiner eigenen Absicherung – den Erkrankten hinweisen sollte.