Anstieg der Depressionsrate in Deutschland
Im Verlauf der letzten fünf Jahre ist die Depressions-Prävalenz laut dem Bericht kontinuierlich angestiegen. Während 2017 noch 11,8 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner Deutschlands ab zehn Jahren eine ärztich diagnostizierte Depression hatten, waren es im Jahr 2022 bereits 12,5 Prozent. Insbesondere bei den jüngeren (10 bis 24 Jahre) und den älteren Altersgruppen (ab 65 Jahre) gab es in den Pandemiejahren einen deutlichen Zuwachs in der Depressionsprävalenz. „Es gibt Anzeichen dafür, dass die Zunahme der Depressionsprävalenz durch einen hohen Anstieg unter den Jüngeren und einen leichten Anstieg unter den Älteren geprägt ist. Dabei sind jedoch insgesamt viel mehr ältere Menschen von Depressionen betroffen“ sagt Helmut Schröder, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). „Die Zahlen spiegeln wider, dass junge und ältere Menschen die besonders vulnerablen Gruppen in der Pandemie waren. Einsamkeit ist ein Risikofaktor für das Entstehen einer Depression, und besonders Menschen in hohem Alter waren in Pandemiezeiten häufig allein und isoliert“.
Frauen sind häufiger betroffen
Laut der Analyse des Gesundheitsatlas kommen Depressionen bei Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren noch selten vor. Mit zunehmendem Alter zeigt sich jedoch ein deutlicher Anstieg der Depressionshäufigkeit. In allen Altersgruppen sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Bei den 60- bis 64-Jährigen ist mehr als jede fünfte Frau und fast jeder sechste Mann betroffen. In den Altersklassen zwischen 65 und 74 Jahren ist dann ein leichter Rückgang zu verzeichnen. Nach diesem „Knick“ steigen die Prävalenzen jedoch weiter deutlich an. Der Prävalenzgipfel wird bei den 80- bis 84‑jährigen Frauen mit 27,7 Prozent erreicht. Bei den Männern wird die höchste Prävalenz mit 17,6 Prozent in der Altersgruppe ab 90 Jahren gemessen.
Höchster Anteil von Depressions-Diagnosen im Saarland
Auf der Ebene der Bundesländer zeigen sich große regionale Unterschiede bei der Häufigkeit von Depressions-Diagnosen. Nach der Analyse des Gesundheitsatlas Deutschland sind die Einwohnerinnen und Einwohner im Saarland (14,2 Prozent), in Hamburg (13,5 Prozent) und in Hessen (13,4 Prozent) am stärksten betroffen. Am niedrigsten ist die Krankheitshäufigkeit in Sachsen mit 11,1 Prozent, gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern (11,2 Prozent) und Brandenburg (11,4 Prozent).
Werden die Depressionsprävalenzen auf der Ebene der 400 Kreise und kreisfreien Städte in Deutschland betrachtet, zeigen sich noch deutlichere Unterschiede: Der höchste Anteil von Betroffenen findet sich in Offenbach am Main mit 17,7 Prozent, gefolgt von Nürnberg (16,6 Prozent) und Remscheid (16,4 Prozent). Die Regionen mit dem geringsten Anteil an Patientinnen und Patienten mit Depression sind Heidelberg mit 8,4 Prozent sowie die Kreise Waldshut (8,9 Prozent) und Rotenburg an der Wümme (9,2 Prozent). Besonders hohe Prävalenzen finden sich in einigen Regionen im Westen und in der Mitte Deutschlands, in Hamburg, Berlin sowie im Norden und Osten Bayerns.
In einem „fairen“ Vergleich, in dem die Prävalenzen um Alters- und Geschlechtsstruktur der Regionen bereinigt werden, beleuchtet der Gesundheitsatlas die Frage, ob Alter und Geschlecht eine maßgebliche Rolle bei der Verteilung der Depressionshäufigkeit spielen. In diesem Vergleich liegen die Prävalenzen zwischen 8,9 Prozent in Waldshut und 20,1 Prozent in Offenbach am Main. „Da die Spanne im fairen Vergleich zunimmt, kann die Verteilung der Depressionshäufigkeiten nicht allein auf Alters- und Geschlechtsstrukturen zurückgeführt werden“, erläutert WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder. „Mit dem Gesundheitsatlas wollen wir lokalen Akteurinnen und Akteuren Hinweise geben, welche Veränderungen an den Verhältnissen vor Ort nützlich sein können, um eine Stigmatisierung zu verhindern.“
Produktions-Ausfallkosten in Höhe von 6,9 Milliarden Euro durch Depressionen
Die Relevanz der Erkrankung zeigt sich auch bei den volkswirtschaftlichen Kosten, die im Gesundheitsatlas Deutschland analysiert werden. So entfielen nach der letzten vorliegenden Krankheitskosten-Statistik des Statistischen Bundesamtes 9,5 Milliarden Euro auf Depressionen. Dies entspricht 2,2 Prozent aller Krankheitskosten. Zusätzlich zu den direkten Krankheitskosten entstehen indirekte Kosten durch krankheitsbedingte Fehltage.
Der Anteil der bei der AOK versicherten Beschäftigten, die 2022 wegen einer Depression krankheitsbedingt ausgefallen sind, ist mit 2,7 Prozent vergleichsweise gering. Allerdings fehlten die Betroffenen im Vergleich zu anderen Erkrankungen überdurchschnittlich lange an ihrem Arbeitsplatz: Die Ausfalltage wegen Depression belegen mit durchschnittlich 43 Tagen je Fall einen Spitzenplatz unter den Erkrankungen, die eine Arbeitsunfähigkeit auslösen. Auf die 34,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Jahr 2022 hochgerechnet ergeben sich daraus 53,8 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage und Produktions-Ausfallkosten in Höhe von etwa 6,9 Milliarden Euro. Der Anteil der Depressionen an den gesamten volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsunfähigkeit beläuft sich somit auf 7,7 Prozent. „Unabhängig davon, welchen Einfluss berufliche Belastungen auf die Entstehung einer Depression haben, bieten Instrumente wie Fehlzeiten-Analysen oder Befragungen zur Gesundheit der Mitarbeitenden im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements die Möglichkeit, die Relevanz im eigenen Unternehmen zu erkennen und den Betroffenen entsprechende Unterstützung anzubieten. Angesichts des Fachkräftemangels kommt gerade auch dem Betrieblichen Eingliederungsmanagement nach einer Depression eine wichtige Rolle zu“, betont Helmut Schröder.
Regionen mit vielen Patientinnen und Patienten mit Angststörungen und Rückenschmerzen stärker belastet
Zu den Risikofaktoren, die zur Entstehung von Depressionen beitragen können, gehören neben Alter und Geschlecht auch Begleiterkrankungen, kritische Lebensereignisse oder chronischer Stress. Im Gesundheitsatlas werden auch die Zusammenhänge zwischen Depressionen und Risikofaktoren in den Regionen Deutschlands untersucht. Dazu gehören Angststörungen und Rückenschmerzen. Die Analysen bestätigen die aus der wissenschaftlichen Literatur bekannten Zusammenhänge: In Regionen mit einem höheren Anteil an Patientinnen und Patienten mit Angststörungen oder Rückenschmerzen sind auch mehr Menschen von Depressionen betroffen. So liegt die Prävalenz von ärztlich dokumentierten Depressionen in Regionen mit hohem Anteil an Patientinnen und Patienten mit Angststörungen bei 13,6 Prozent, in Regionen mit wenig Patientinnen und Patienten mit Angststörungen dagegen nur bei 11,5 Prozent (Abbildung 6). Eine ähnliche Verteilung zeigt sich in den Regionen, in denen viele Menschen unter Rückenschmerzen leiden: Hier liegt die Depressionsprävalenz bei 13,8 Prozent. In den Regionen, in denen die Rückenschmerzhäufigkeit gering ist, liegt die Depressionsprävalenz hingegen bei 11,8 Prozent (Abbildung7).
Stigmata abbauen und Wissenslücken schließen
Depressionen sind eine der häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland und führen zu einer starken Einschränkung der Lebensqualität. „Oft sind Patientinnen und Patienten nicht mehr in der Lage, ihren alltäglichen Aktivitäten nachzugehen“, so WIdO-Geschäftsführer Schröder. „Obwohl das Krankheitsbild immer mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt, bleibt das Bild über die Betroffenen oft von Vorurteilen und Stigmata geprägt. Das kann Patientinnen und Patienten stark belasten.“ Der Gesundheitsatlas Deutschland solle dazu beitragen, Wissenslücken beim Thema Depressionen zu schließen, ein Bewusstsein für die große Bedeutung dieser Erkrankung zu schaffen und Berührungsängste abzubauen.
www.gesundheitsatlas-deutschland.de
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