Offensichtlich hat das "PAS-Konzept" auch im deutschsprachigen Raum eine hohe Faszination für Sachverständige und Jurist:innen.
Dieses Konzept von Dr. Richard Gardner (2001), welcher die Pseudodiagnose "PAS" (Parental Alienation Syndrome) aufgrund von Beobachtungen in seiner Praxis und der langjährigen Tätigkeit als Gerichtsgutachter in den USA in den 1980er Jahren entwickelt hat, beschrieb zunächst acht Hauptsymptome dieses Pseudosyndroms:
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Verunglimpfungskampagne, |
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absurde Rationalisierungen der Verunglimpfung, |
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fehlende Ambivalenz, |
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Phänomen "eigenständiges Denken", |
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reflexartige Unterstützung des entfremdenden Elternteils, |
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fehlende Schuldgefühle, |
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entliehene Szenarien, |
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Ausweitung der Feindseligkeiten auf erweiterte Familie des entfremdeten Elternteils. |
Damit unterschied er 3 Typen:
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schwach, |
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mittelstark und |
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schwer. |
Im Rahmen der einschlägigen Sekundärliteratur, die sich auf "PAS" beruft, erfolgt auch eine Einteilung in Bezug auf die sogenannte "Bindungstoleranz" von Elternteilen und es werden verschiedene Schweregrade von fehlender Bindungstoleranz wie auch Eltern-Kind-Entfremdungssymptomatik beschrieben. Das missverständlich so genannte Prinzip der "Bindungstoleranz", die Kooperation und das Aufrechterhalten von Beziehungen und Bindungen des Kindes mit dem anderen Elternteil und allen anderen für das Kind bedeutsamen Personen, stellt mittlerweile quasi ein Sorgerechtskriterium dar. Das Vorliegen solcher "Bindungstoleranz" deute auf eine verantwortete Elternschaft hin. Für die gerichtliche Beurteilung spielt eine Rolle, welcher Elternteil die beste Gewähr bietet, dass dem Kind der andere Elternteil und alle anderen bedeutsamen Personen als Bezugspersonen erhalten bleiben und ob dieser Elternteil zudem bereit ist, die Kontakte aktiv zu unterstützen. Fehlende "Bindungstoleranz" kann den Entzug des Sorgerechts oder den Wechsel der Betreuungsverhältnisse bedingen. Diese Entscheidungsprinzipien gemäß § 1626 BGB sollen hier nicht in Frage gestellt werden. Allerdings ist das Wort "Bindungstoleranz" missverständlich und irreführend. Es sollte besser von Unterstützung des Umgangs gesprochen werden, um die es faktisch geht. In der Verwendung der Begrifflichkeit "Bindungstoleranz" steckt schon ein latenter Appell an die grundlegende Bedeutung von Bindung in Bezug auf die Menschenwürde und damit eine latente Stellungnahme, welche eine Rechtsgüterabwägung z.B. mit der Belastung des Kindes durch Umgang a priori auszuschalten versucht, indem auf menschliche, primäre Grundbedürfnisse und Grundrechte rekurriert wird.
Auch Begriffe wie "Kindesentfremdung", "Elternentfremdung", "Elternentfremdungssyndrom", "Eltern-Feindbild-Syndrom" werden gebraucht, für deren Vorliegen es aber ebenfalls keine wissenschaftliche Evidenzbasierung gibt.
Interessanterweise hat Gardner die "Diagnose PAS" klar vom Vorliegen des sexuellen Missbrauchs oder von Vernachlässigung abgegrenzt. Im Falle eines sexuellen Missbrauchs oder von Vernachlässigung darf auch laut ihm die "Diagnose PAS" nicht verwendet werden.
Um besser zu verstehen, wie die Motivation und Denkweise von Gardner zur Entstehung des "PAS-Konzepts" geführt hat ist es wichtig, ein paar Originalzitate zu kennen:
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"Weil unsere Gesellschaft auf Pädophilie überreagiert, leiden Kinder." |
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"Pädophilie kann das Überleben der menschlichen Spezies verbessern, indem sie Fortpflanzungszwecken dient." |
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"Sagen Sie dem Kind das sexueller Missbrauch durch einen Vater normal ist … älteren Kindern kann geholfen werden zu verstehen, dass sexuelle Begegnungen zwischen einem Erwachsenen und einem Kind nicht allgemein als verwerfliche Handlungen angesehen werden." |
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"Kinder sind von Natur aus sexuell und können sexuelle Begegnungen initiieren, indem sie den Erwachsenen verführen." |
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"Wenn die Mutter hysterisch auf Missbrauch reagiert oder ihn als Vorwand für eine Verunglimpfung des Vaters nutzt, … Ihre Hysterie … trägt dazu bei, dass das Kind das Gefühl hat, dass ein abscheuliches Verbrechen begangen wurde." |
Die gutachterliche Praxis im deutschsprachigen Raum kennt durchaus Fälle, in denen ein "PAS" festgestellt wird und entsprechende Maßnahmen angeordnet werden, obwohl der Verdacht auf das Vorliegen von sexuellem Missbrauch oder Misshandlung nicht ausgeräumt werden konnte. Traurigerweise gibt es einen großen Anteil an Fällen, in denen Verdachtsmomenten nicht mehr weiter nachgegangen und Hinweise nicht mehr geprüft werden, sobald das "PAS" in die Verhandlung eingeführt wurde.
Oft steht Aussage gegen Aussage oder es liegt einfach ein Mangel an Beweisen vor, was bedeutet, dass weder die Schuld noch die Unschuld des/r fraglichen Täters/Täterin bewiesen werden konnte. Daher kommt in solchen Fällen auch nach Gardner die Pseudodiagnose "PAS" nicht in Betracht.
In der Mehrzahl der obergerichtlichen Entscheidungen, die sich auf ein "PAS" berufen, wurden zur Beurteilung der Sachlage rechtspsychologische Sachverständige ohne klinische Expertise hinzugezogen und es wurde ein Krankheitsbild "PA...