Ein Blick in die deutsche und auch europäische Rechtsprechung ergibt, dass es hier nicht viel anders aussieht: In den juristischen Datenbanken juris und beck-online ließen sich seit dem Jahr 2000 bis einschließlich 2022 40 höchstrichterliche familiengerichtliche Entscheidungen mit konkretem Bezug zum sog. "PAS" finden. Davon ergingen neun Entscheidungen vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Entscheidungen sollen hier keiner umfassenden qualitativen Prüfung unterzogen werden. Ein inhaltlicher Einblick in einige der Entscheidungen vermag aber die oben dargestellten theoretischen Erwägungen mit praktischen Auswirkungen des juristischen Umgangs mit diesem Pseudosyndrom zu untermauern und verdeutlichen, welch weitreichende Folgen der Verweis auf diese Plädierformel im Verfahren für Familien und insbesondere die betroffenen Kinder haben kann. So wird beispielsweise im EGMR-Urt. v. 20.7.2006 unter Bezugnahme auf die Artikel 6 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention ein tschechisches Gericht verpflichtet, bei "extremer Verweigerungshaltung" des sorgeberechtigten Elternteiles sowie des Kindes, effektive Maßnahmen zur zwangsweisen Durchsetzung eines Umgangsrechts des nicht sorgeberechtigten Elternteils zu treffen. Allerdings seien gewisse Vorbereitungen notwendig, wenn das Kind den Umgangselternteil nicht mehr kenne und die Verpflichtung zur Ausübung von Zwang sei begrenzt. Die Maßnahmen seien zügig durchzuführen, um keine faktische Vorentscheidung mit der Folge einer irreversiblen Entfremdung des Kindes vom Umgangsberechtigten zu riskieren.
Das OLG Zweibrücken entschied am 9.5.2005, es widerspreche nicht dem Kindeswohl, wenn dem Elternteil, bei dem das Kind nicht lebe, trotz einer mehrjährigen Unterbrechung des Kontaktes und einer von dem anderen Elternteil gezielt herbeigeführten Entfremdung ein Umgangsrecht eingeräumt werde. Das Vorliegen einer "psychischen Störung bei den Kindern" mache es jedoch erforderlich, dass dem Elternteil zunächst nur ein betreuter oder beschützter Umgang im Beisein fachkundiger Personen gestattet werde. In der Begründung heißt es, die Kinder litten "unter einer ausgeprägten psychischen Störung […], die bereits Krankheitswert erreicht hat und in der Fachliteratur als so genanntes PAS (Parental Alienation Syndrome) bezeichnet wird. Das so genannte PAS beschreibt eine in ihren Symptomen jedem Familienrichter als solche bekannte kindliche Verhaltensweise im Elternkonflikt." Vor diesem Hintergrund müsse davon ausgegangen werden, dass die Äußerung der Kinder, keinen Kontakt mit ihrem Vater zu wollen, manipuliert sei und nicht ihrem natürlichen Willen entspreche. Dem Kind solle es ermöglicht werden, die Beziehungen zu beiden Elternteilen aufrecht zu erhalten und zugleich solle dadurch einer Entfremdung vorgebeugt und dem Liebesbedürfnis beider Elternteile Rechnung getragen werden. Bei den Gewalttätigkeiten des Vaters zu Ehezeiten, die die Mutter als Begründung für die Umgangsvereitelung anführt, handele es sich um Vorfälle, die nach Art und Intensität streitig seien. Sie lägen lange Zeit zurück und richteten sich nicht unmittelbar gegen die Kinder.
Hier ist zu bedenken, dass häusliche Gewalt ein Hochrisikofaktor für die kindliche Entwicklung ist. Auch die "bloß" miterlebte Gewalt zwischen den Eltern kann erhebliche Schäden für die Kinder nach sich ziehen. Die OLG-Entscheidung zeigt hier eindrücklich, wie unzureichend die gerichtliche und behördliche Praxis aus psychologischer Sicht mit dem Vorwurf häuslicher Gewalt im Rahmen von Umgangsstreitigkeiten umgeht. Das Familiengericht hat Gewalterfahrungen als Ursache von Belastung und Traumatisierung von Kindern zu sehen und zu klären und häuslichen Gewaltvorwürfen stets nachzugehen.
In einem anderen Fall wurde ein "PAS diagnostiziert", obwohl die Mutter des Kindes "während der überwiegenden Zeit gegen den Umgang keine Einwände erhoben hatte. Erst nachdem die Mutter erkennen musste, dass (auch) der Vater das Kind für seine Zwecke, sich an der Mutter zu rächen, instrumentalisiert (ohne das Kind müsse sie nach Russland zurück) und er seine Interessen kompromisslos und rechtsuntreu durchsetzt, hat sie mit übertriebenen Ängsten, das Kind werde ihr weggenommen, und mit der Verweigerung des Umgangs einhergehend mit einer immer stärkeren Abwertung des Vaters auch gegenüber J. reagiert."
Eingedenk der Tatsache, dass im Gegensatz zu den in der ICD-10 (bzw. 11) und dem DSM-5 beschriebenen Störungsbildern und Syndromen das sog. "PAS" keine reliable Evidenzbasierung besitzt, scheint sich hier der Verdacht zu bestätigen, dass die Verwendung des medizinischen "Syndrombegriffs" als taktische Waffe in Sorge- und Umgangsrechtsverfahren vor Gericht tatsächlich funktioniert.