Mit dieser Entscheidung vom 09.01.2008 greift der BGH in die bisher weitgehend den Tatrichtern überlassene Bestimmung des notwendigen Selbstbehalts ein. Dabei schränkt er nicht nur den den Instanzgerichten insoweit formal noch belassenen Spielraum ein, sondern verlangt – entgegen sonstiger Bestrebungen zur Vereinfachung des Unterhaltsrechts – auch eine sehr einzelfallbezogene Bestimmung des Selbstbehalts je nach Lebensform und Erwerbstätigkeit bzw. Nichterwerbstätigkeit des Unterhaltspflichtigen. Was die nunmehr ausdrücklich geforderten unterschiedlichen Selbstbehalte für Erwerbstätige und Nichterwerbstätige angeht, ist es zwar zutreffend, dass die meisten Oberlandesgerichte diese Differenzierung beim notwendigen Selbstbehalt in ihren Leitlinien unter Nr. 21.2 vorsehen. Das OLG Frankfurt am Main lehnt allerdings in seinen Unterhaltsgrundsätzen seit jeher eine Herabsetzung des notwendigen Selbstbehalts für Erwerbslose ab (vgl. schon Weychardt u.a., Der Amtsvormund 1984, 98 und 258; nunmehr Nr. 21.2 der Unterhaltsgrundsätze, FamRZ 2008, 224 ff.), wofür auch praktische Überlegungen sprechen. Ob insbesondere ein Arbeitsloser tatsächlich generell 130 EUR weniger benötigt als der Erwerbstätige, erscheint nämlich bereits zweifelhaft. Die Annahme, er könne leichter billigere Einkäufe tätigen, ist in Zeiten ausgedehnter flexibler Ladenöffnungszeiten fraglich geworden. Da er sich in der Regel intensiv um eine neue Beschäftigung bemühen muss, kann er auch nicht an der Kleidung sparen und hat zusätzliche, im Einzelnen nur schwer nachweisbare Kosten für die Erstellung von Bewerbungsunterlagen, ggf. auch für Vorstellungsgespräche. Angesichts der gerade in der jüngsten Zeit erheblichen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln, Heizkosten und Treibstoffen erscheint jedenfalls ein Selbstbehalt von 770 EUR für einen Erwerbslosen nicht mehr ausreichend. Findet er schließlich eine Arbeit, die nicht sonderlich gut dotiert ist, kann es bei differenziertem notwendigen Selbstbehalt sogar sein, dass er als Erwerbstätiger weniger Unterhalt zahlen muss als zur Zeit seiner Arbeitslosigkeit, was für den Berechtigten kaum nachvollziehbar ist.
Dass bei Teilzeiterwerbstätigkeit künftig sogar zwischen den beiden Selbstbehaltsbeträgen interpoliert werden soll, ohne dass dafür allerdings nachvollziehbare statistische Grundlagen für den Einzelfall ersichtlich sind, trägt nicht zur Rechtsklarheit bei. Die Annahme des BGH, die geforderte Differenzierung beim notwendigen Selbstbehalt erfülle auch eine Anreizfunktion zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ebenso wie der 1/7-Bonus bei der Bestimmung des Ehegattenunterhaltsbedarfs, überzeugt ebenfalls nicht, denn für eine Bonusgewährung ist – anders als bei der erwähnten Abweichung vom Halbteilungsgrundsatz im Ehegattenunterhalt – gerade wegen der vom BGH zu Recht erwähnten verschärften Haftung gem. § 1603 Abs. 2 BGB kein Raum. Aus der Sicht der herrschenden Meinung ist es schließlich auch nicht konsequent, dass bei den anderen Selbstbehalten, insbesondere auch dem eheangemessenen, eine differenzierte Bestimmung ausdrücklich nicht vorgenommen wird. Hier hat sich nämlich, der ständigen Rspr. des BGH folgend (BGH FamRZ 2006, 683 ff. m.w.N.), der "Mittelbetrag" von zur Zeit in der Regel 1.000 EUR zwischen notwendigem (900 EUR) und dem mit 1.100 EUR angemessenen Selbstbehalt in den Leitlinien als einheitlicher Betrag durchgesetzt, obwohl dieser "Mittelbetrag" beim Erwerbslosen nach der h.M. entsprechend niedriger ausfallen müsste.
Auch in der Frage der Reduzierung des Selbstbehalts bei Zusammenleben in einer Haushaltsgemeinschaft mit einem neuen Partner entscheidet sich der BGH mit der überwiegenden Meinung in Rspr. und Literatur (zu den zitierten Gegenmeinungen siehe aber auch noch OLG Frankfurt am Main, FamRZ 2005, 2090 f., Unterhaltsgrundsätze Nr. 21.5.3) im Hinblick auf angenommene Synergieeffekte für eine einzelfallbezogene Bestimmung des notwendigen Selbstbehalts und stützt sich insoweit u.a. auf entsprechend differenzierende Bedarfssätze nach dem SGB II. Allerdings geht es beim Selbstbehalt nicht allein um die zahlenmäßige Bestimmung des notwendigen Bedarfs, sondern auch darum, mit den vorhandenen Mitteln das private Leben gestalten zu dürfen, etwa dadurch, dass man in bestimmten Bereichen spart, um für andere Positionen mehr aufwenden zu können. Hier gelingt dem BGH die Abgrenzung zu den Fällen, in denen dem Unterhaltspflichtigen weiterhin die Dispositionsfreiheit eingeräumt wird, wie er mit den ihm zu belassenden Mitteln umgehen will (vgl. BGH FamRZ 2006, 1664, 1666), nicht überzeugend, denn selbstverständlich geht es auch in diesen Fällen häufig um Ersparnisse unter Ausnutzung von Synergieeffekten. Soll der Tatrichter künftig tatsächlich im Einzelnen aufklären, ob sich der Unterhaltspflichtige bei Aufnahme einer Wohngemeinschaft nur zwecks möglicher Umverteilung seiner finanziellen Mittel bei den Wohnkosten beschränken wollte oder der Synergieeffekt die Folge einer sowieso bevorzugten Lebensweise ist...