Interview mit Brigitte Zypries (SPD), Bundesministerin der Justiz
Brigitte Zypries
FF/Schnitzler: Als ich Sie vor knapp sechs Jahren interviewt habe, ging es zunächst um die damals schon erörterte Möglichkeit, ein großes Familiengericht zu schaffen. Dies ist inzwischen auf dem Weg. Am 1.9.2009 soll die große Reform des familiengerichtlichen Verfahrens in Kraft treten. Das Gesetz steht seit Ende des Jahres im Bundesgesetzblatt. Welche Ziele verfolgen Sie nach wie vor mit dieser großen Reform?
Zypries: Im Familienrecht geht es um die wichtigsten Fragen privater Lebensgestaltung. Gerade hier ist ein modernes und allgemein verständliches Verfahrensrecht ein Muss. Ein lückenhaftes Rahmengesetz aus dem 19. Jahrhundert, das durch komplizierte Hin- und Herverweisungen selbst für Fachleute kaum nachvollziehbar war, wird der Aufgabe nicht gerecht. Hier hat die FGG-Reform Abhilfe geschaffen. Wir haben eine vollständig neue Verfahrensordnung für alle familienrechtlichen Streitigkeiten und eine Bündelung dieser Verfahren beim Großen Familiengericht. Schon deshalb ist die Reform ein großer Wurf.
Gleichzeitig sorgt das neue Recht dafür, dass Kinder besser geschützt werden. Bereits Mitte letzten Jahres haben wir mit dem neuen § 1666 BGB Tatbestandshürden für die Anrufung der Familiengerichte aus dem Weg geschafft. Die Neufassung stellt klar: Wenn es um eine Kindeswohlgefährdung geht, hängen gerichtliche Maßnahmen in erster Linie von der Gefährdung des Kindeswohls und nicht von einem Erziehungsversagen ab. Außerdem macht der neue § 1666 BGB mit seinem Maßnahmenkatalog deutlich, dass Richter schon im Vorfeld des Sorgerechtsentzugs viele Möglichkeiten haben. Sie können den Eltern zum Beispiel aufgeben, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in Anspruch zu nehmen, etwa eine Erziehungsberatung. Hinzu kommt ein Vorrang- und Beschleunigungsgebot bei allen Verfahren rund um das Kindeswohl, auch bei Entscheidungen zum Umgangsrecht. Spätestens einen Monat nach Verfahrensbeginn soll es einen Erörterungstermin geben. So können Lösungen gefunden werden, bevor die Akte vor gegenseitigen Vorwürfen strotzt und die Situation zum Nachteil des Kindes festgefahren ist. Gerade weil Kinder als schwächste Beteiligte besonders schützenswert sind, haben wir ihre Rechte im Verfahren gestärkt. Das Kind soll nicht bloßes Objekt sein, um das sich die Eltern streiten. Deutlicher als bisher sagt das neue Verfahrensrecht daher, wann es für das Kind einen Verfahrensbeistand gibt. Nicht zuletzt verbessert das neue Recht die Vollstreckung von Umgangsentscheidungen. Vielfach haben uns in der Vergangenheit Klagen von Umgangsberechtigten erreicht, denen mit Zwangsgeldandrohungen nicht geholfen war, wenn am verabredeten Besuchswochenende der Umgang aus fadenscheinigen Gründen nicht gewährt wurde. Das ändert sich hoffentlich mit den neuen Möglichkeiten, Ordnungsgelder festzusetzen.
FF/Schnitzler: Ganz wichtig wird bei der Umsetzung dieser Reform sein, dass die Familienrichter/innen insbesondere in der 1. Instanz mitziehen. Dies war bei der Reform des Scheidungsverfahrens vor über 30 Jahren (1977) der Fall. Ich habe so meine Zweifel, ob das diesmal tatsächlich gelingen kann, zumal nach wie vor eine Qualifizierung der richterlichen Tätigkeit im familiengerichtlichen Bereich nicht erfolgt. Nach wie vor handelt es sich um freiwillige Maßnahmen der einzelnen Richter. Hier müsste man mit den Standesorganisationen, auch mit den einzelnen Justizminister/innen der Länder, eine Regelung herbeiführen, die den Richtern einen Ansporn gibt, tatsächlich Familiensachen zu machen. Der bloße Hinweis auf das unstreitig spannende Rechtsgebiet wird wahrscheinlich nicht reichen.
Zypries: Warum so pessimistisch? Gerade im familiengerichtlichen Bereich gibt es viel Engagement vor Ort. Stichwörter wie das Cochemer, das Berliner oder das Münchner Modell stehen dafür, dass sich Praktiker über Beschleunigung und über interdisziplinäre Zusammenarbeit Gedanken gemacht haben, lange bevor die aktuellen Reformen im Bundesgesetzblatt standen. Das Interesse der Praxis am neuen Recht ist riesengroß. Nach allem, was ich höre, bieten die Länder gerade zur FGG-Reform eine breite Palette an Fortbildungen. Das merken auch die Fachleute aus meinem Haus, die immer wieder als Referenten angefragt werden. Trotzdem kann offenbar das große Angebot die Nachfrage kaum befriedigen. Daher glaube ich nicht, dass es auf der Richterbank an Interesse fehlt.
Generell sprechen Sie aber einen wichtigen Punkt an: Niemand kommt als Familienrichter auf die Welt. Daher müssen wir immer wieder die Frage stellen, ob Aus- und Fortbildung dem Praktiker wirklich alles mitgeben, was er für seine Arbeit braucht. Dabei geht es nicht nur um Rechtskenntnisse. Gerade im Familienkonflikt wird deutlich, dass Richterinnen und Richter auch als Moderatoren, als Rhetoriker und als Psychologen gefordert sind. Nach meinem Eindruck werden sich auch die Länder, die für die Fortbildung ihrer Richterinnen und Richter zuständig sind, darüber immer klar...