Einführung

In der Praxis besteht Unklarheit, ob in familienrechtlichen Beschwerdeverfahren der §§ 58 ff. FamFG eine "fiktive Terminsgebühr" nach Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202 i.V.m. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG anfallen kann, also eine Terminsgebühr, die ausgelöst wird, obwohl ein Termin nicht stattgefunden hat.

Der Streit dreht sich dabei um die Frage, ob es sich bei den Beschwerdeverfahren nach den §§ 58 ff. FamFG um Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung handelt oder nicht. "Stein des Anstoßes" ist § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG, wonach das OLG auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann. Daraus wird zum Teil gefolgert, in familiengerichtlichen Beschwerdeverfahren sei eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben.[1] Demzufolge sei kein Raum für eine fiktive Terminsgebühr. Dies soll einmal näher betrachtet werden.

[1] So Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 20. Aufl. 2012, Nr. 3104 VV RVG, Rn 20.

I. Ausgangspunkt

Die Terminsgebühr in familienrechtlichen Beschwerdeverfahren richtet sich gem. Vorbem. 3.2.1 Nr. 2 Buchst. b) VV RVG nach Nr. 3202 VV RVG. Deren Anm. Abs. 1 Nr. 1 wiederum verweist hinsichtlich der fiktiven Terminsgebühr auf die Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG.

Danach entsteht eine Terminsgebühr, wenn

  1. für das Verfahren eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist

    und

  2. entweder

    ohne mündliche Verhandlung
    im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten
    gem. § 307 ZPO oder
    § 495a ZPO

    entschieden wird

    oder

    die Beteiligten einen schriftlichen Vergleich schließen.

II. Vorgeschriebene mündliche Verhandlung

Zunächst einmal fragt es sich also, ob im Beschwerdeverfahren nach den §§ 58 ff. eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist. Dagegen sprechen könnte § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG (s.o.), wonach das Gericht auch ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann. Bei genauerer Betrachtung ermöglicht diese Regelung dem Gericht aber nicht, grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, sondern nur in den genannten Fällen, also wenn im erstinstanzlichen Verfahren bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat und von einer erneuten mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind. Gerade der Wortlaut der Vorschrift spricht eindeutig dagegen, dass eine mündliche Verhandlung generell nicht vorgeschrieben sei. Denn wenn dies der Fall wäre, bedürfte es der in § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG geregelten Ausnahme nicht. Die Existenz dieser Vorschrift belegt gerade, dass das Gesetz von einer obligatorischen mündlichen Verhandlung ausgeht. Anderenfalls wäre die Vorschrift überflüssig.

§ 68 Abs. 3 S. 1 FamFG erklärt die jeweiligen Vorschriften des erstinstanzlichen Verfahrens für das Beschwerdeverfahren entsprechend anwendbar.

Dies wiederum hat zur Folge, dass in Familienstreitsachen grundsätzlich mündlich zu verhandeln ist (§ 113 Abs. 1 S. 2 FamFG i.V.m. § 128 Abs. 1 ZPO). Die Vorschrift des § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG hebt diesen Grundsatz der mündlichen Verhandlung nicht generell auf, sondern regelt einen Einzelfall, sodass es sich also beim Beschwerdeverfahren in Familienstreitsachen nach wie vor um ein Verfahren mit einer vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung handelt.

Anders verhält es sich in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Insoweit gilt nach § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG die Regelung des § 32 Abs. 1 FamFG: Das Gericht kann einen Termin zur Erörterung anberaumen, muss es aber nicht. Hier ist eine mündliche Verhandlung also nicht obligatorisch. Zum Teil wird hier allerdings für bestimmte Verfahren – insbesondere Verfahren über die elterliche Sorge – die Auffassung vertreten, dass eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei.[2] Soweit man danach von einem Verfahren mit obligatorischer mündlicher Verhandlung ausgeht, muss dies dann über § 68 Abs. 3 S. 1 FamFG auch im Beschwerdeverfahren gelten.

III. Gesetzlich geregelter Ausnahmefall

Damit, dass festgestellt ist, dass in Familienstreitsachen und gegebenenfalls in bestimmten Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch in Beschwerdeverfahren grundsätzlich eine mündliche Verhandlung stattzufinden hat, ist noch nicht gesagt, dass bei einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung immer die Terminsgebühr anfällt. Insoweit gelten über Anm. Abs. 1 zu Nr. 3202 VV die Voraussetzungen der Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV entsprechend.

Danach wiederum entsteht die Terminsgebühr bei fehlender mündlicher Verhandlung nur dann, wenn

im Einverständnis der Beteiligten oder
nach § 307 ZPO (Anerkenntnis) entschieden oder
ein Verg...

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