FamFG § 234
Leitsatz
1. Ist die Beistandschaft des Jugendamts beendet, erlangt der sorgeberechtigte Elternteil die gesetzliche Vertretung des Kindes zurück und kann Verfahrenshandlungen, bei denen das Kind nicht wirksam gesetzlich vertreten war, rückwirkend genehmigen (Fortführung von BGH, Beschl. v. 30.11.1988 – IVa ZB 12/88, BGHZ 106, 96, 100 = FamRZ 1989, 269, 270).
2. Der Vertretungsmangel kann in jeder Lage des Verfahrens geheilt werden, und zwar auch noch nach Ablauf der Rechtsmittelfrist in der jeweiligen Instanz bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung bzw. zum Zeitpunkt der Beschlussfassung (im Anschluss an BGH Beschl. v. 14.12.2017 – V ZB 35/17, Grundeigentum 2018, 397).
BGH, Beschl. v. 2.12.2020 – XII ZB 303/20 (OLG Frankfurt, AG Frankfurt)
Aus den Gründen
Gründe: I. [1] Die minderjährige Antragstellerin hat, vertreten durch das Jugendamt als Beistand, den Antragsgegner (ihren Vater) auf Kindesunterhalt in Anspruch genommen. Das Familiengericht hat den Antrag mit einem dem Jugendamt am 15.8.2019 zugestellten Beschluss zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 26.8.2019, dessen Zugangszeitpunkt beim Jugendamt ungeklärt ist, hat die Kindesmutter dessen Beistandschaft beendet. Am 29.8.2019 hat die nunmehr anwaltlich vertretene Antragstellerin gegen die Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde eingelegt, hierzu am 18.9.2019 eine Vollmacht der vom Antragsgegner geschiedenen Kindesmutter nachgereicht und die Beschwerde innerhalb der bis zum 15.11.2019 verlängerten Frist begründet. Mit Schreiben vom 3.12.2019 hat das Jugendamt die Beendigung der Beistandschaft bestätigt. Nachdem zweifelhaft geworden war, ob die Antragstellerin bei der Einlegung und Begründung ihrer Beschwerde wirksam gesetzlich vertreten war, hat sie vorsorglich und hilfsweise Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Das Oberlandesgericht hat den Antrag zurückgewiesen und seinen Beschluss mit dem Hinweis verbunden, dass eine Verwerfung der Beschwerde beabsichtigt sei. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.[2] Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
[3] 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 2 ZPO und § 117 Abs. 1 S. 4 FamFG i.V.m. §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 S. 4 ZPO statthaft. Bei gesonderter Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch muss diese mit der Rechtsbeschwerde angegriffen werden, weil andernfalls die Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag rechtskräftig und für die Entscheidung über die Verwerfung des Rechtsmittels bindend wird (Senatsbeschl. v. 1.3.2017 – XII ZB 448/16, FamRZ 2017, 819 Rn 8 m.w.N.).
[4] Die Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2 ZPO). Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Das Beschwerdegericht hat durch seine Entscheidung das Verfahrensgrundrecht der Antragstellerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, welches es den Gerichten verbietet, den Beteiligten den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (Senatsbeschl. v. 3.7.2019 – XII ZB 116/19, FamRZ 2019, 1442 Rn 5 m.w.N.).
[5] 2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
[6] a) Es ist bereits zweifelhaft, ob der angefochtene Beschluss ausreichend mit Gründen versehen ist. Beschlüsse, die mit der Rechtsbeschwerde angefochten werden können, müssen den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden wird (Senatsbeschl. v. 7.7.2010 – XII ZB 59/10, NJW-RR 2010, 1648 Rn 6 m.w.N.; v. 27.8.2014 – XII ZB 266/13, NJW-RR 2014, 1531 Rn 7 und v. 13.1.2016 – XII ZB 605/14, FamRZ 2016, 625 Rn 6). In den Gründen des angefochtenen Beschlusses fehlen hingegen schon die maßgeblichen Angaben über den Verfahrensablauf, die eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Beschlusses aus sich heraus ermöglichen.
[7] b) Die Rechtsbeschwerde ist aber auch unabhängig davon begründet.
[8] Denn der Antrag auf Wiedereinsetzung ist ausdrücklich nur vorsorglich und für den Fall der Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist gestellt. Über ihn ist daher erst und nur dann zu entscheiden, wenn nicht festgestellt werden kann, dass die Antragstellerin die Frist zur Vornahme einer Rechtshandlung gewahrt hat (BGH Beschl. v. 16.1.2007 – VIII ZB 75/06, FamRZ 2007, 552, 553).
[9] Diese Voraussetzung ist jedoch nicht gegeben, da die Beschwerdefrist und die Beschwerdebegründungsfrist durch die Antragstellerin gewahrt sind. Zwar war die Antragstellerin im Zeitpunkt der Einlegung ihrer Beschwerde nicht wirksam durch ihre Mutter gesetzlich vertreten. Denn sie war erstinstanzlich durch das Jugendamt als Beistand vertreten, was eine gesetzliche Vertretung durch den sorgeberechtigten Elternteil ausschloss (§ 234 FamFG), und es kann...