Die Auffassung des BGH geht konform mit dem Gesetzeswortlaut. Dieser ist eindeutig und entgegen der bisherigen herrschenden Meinung keiner weiteren Auslegung zugänglich.
Ein barunterhaltspflichtiger Elternteil haftet nur dann verschärft, d.h. er muss sein Einkommen nur dann bis zum notwendigen Selbstbehalt für die Zahlung von Kindesunterhalt einsetzen, wenn kein anderer Verwandter so leistungsfähig ist, dass dieser – bei gleichwertigem Schutz des dann jeweils geltenden angemessenen Selbstbehalts – Kindesunterhalt zahlen könnte. Dies gilt unabhängig davon, ob der andere Verwandte der betreuende Elternteil ist oder einer der Großeltern.
Die Kritik der Mindermeinung, dass die geforderte verschärfte Haftung der Eltern für den von ihnen vorrangig geschuldeten Kindesunterhalt aufgeweicht bzw. unterlaufen werden könnte, wenn es einen zahlungskräftigen Großelternteil gibt, verfängt nicht. Diese Meinung, welche bislang als herrschende Meinung galt, verkennt, dass diese verschärfte Haftung der Eltern nämlich nicht grundsätzlich gilt, sondern nur dann, wenn es keinen anderen leistungsfähigeren Verwandten gibt. D.h. das Gesetz gestaltet die verschärfte Haftung bereits als Ausnahme und nicht als Regel.
Sicherlich hat es ein gewisses "Geschmäckle", dass Eltern minderjähriger Kinder nicht mehr bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gehen müssen, um den vorrangig von ihnen geschuldeten Kindesunterhalt zahlen zu müssen, wenn auf Seiten des Kindesvaters und/oder der Kindesmutter Großeltern vorhanden sind, welche über ein ihren Selbstbehalt übersteigendes Einkommen verfügen. Der Umfang der Einsatzbereitschaft der Eltern könnte folglich davon abhängig gemacht werden, ob andere Verwandte für die Zahlung dieses Kindesunterhalts in Anspruch genommen werden können.
Nach Ansicht des BGH ist diese Gefahr aber nicht gegeben. Insoweit verweist er in der Beschlussbegründung auf den Gesetzgeber und dessen Einschätzung, wonach es sich von selbst verstehe, dass Eltern sich zunächst soweit einzuschränken hätten, als dies mit ihrer Lebensstellung vereinbar sei.
Diese Ansicht des BGH ist unter Verweis auf die Praxis sicherlich angreifbar. Denn die Praxis zeigt, dass viele zahlungspflichtige Eltern die von dem damaligen Gesetzgeber gesetzten Erwartungen nicht erfüllen, sich also nicht einschränken, sondern vielmehr alles dafür tun, um so wenig wie möglich Kindesunterhalt zahlen zu müssen. Auch wird der vom Gesetzgeber erwartete Einsatz der Eltern auf Herstellung oder Erhalt einer ausreichenden Leistungsfähigkeit zur Zahlung des von ihnen geschuldeten Kindesunterhalts kaum dadurch erfüllt werden können, dass die Haftung weiter entfernterer Verwandter erst bei Tangierung des notwendigen Selbstbehalts möglich wäre. Entweder wollen Eltern nicht leistungsfähig sein, oder sie sind es wirklich nicht.
Um zwischen "Nicht-Wollen" und "Nicht-Können" unterscheiden zu können, müssen sowohl der barunterhaltspflichtige Elternteil als auch der gleichrangig haftende betreuende Elternteil nach- und beweisen, dass und warum der angemessene Selbstbehalt trotz Erfüllung der Erwerbsobliegenheit und trotz Reduzierung aller Ausgaben einschließlich der Obliegenheit, bei vielen Schulden gegebenenfalls auch in die Privatinsolvenz zu gehen, nicht gewahrt werden kann.
Den unterhaltspflichtigen Eltern wird es aufgrund der ihnen obliegenden Beweislast über die Ausschöpfung ihrer Erwerbsobliegenheit nicht einfach gemacht, sich ihrer vorrangigen Unterhaltsverpflichtung zu entziehen. Vielmehr kontrolliert die Rechtsprechung im jeweiligen Einzelfall, ob die geschuldete Erwerbsobliegenheit und der geforderte Einsatz tatsächlich bereits erbracht, aber nicht zu einer Leistungsfähigkeit oberhalb des angemessenen Selbstbehalts führen. Die Gefahr, die Haftung für Kindesunterhalt auf andere Verwandte "abschieben" zu können, dürfte daher nicht so groß sein, als dass sich hieraus eine Auslegung des Gesetzes gegen den Wortlaut rechtfertigen lassen würde.
Ferner muss bei der Auslegung eines Gesetzes auch der Wille des Gesetzgebers berücksichtigt werden. So hat der Gesetzgeber unmissverständlich vorgegeben, dass dem barunterhaltspflichtigen Elternteil grundsätzlich sein "standesgemäßer" Unterhalt verbleiben soll. Bereits dieser "standesgemäße" bzw. nunmehr der laut geltenden gesetzlichen Fassung "angemessene" Unterhalt sollte die Opfergrenze darstellen, bis zu der der Pflichtige sein Einkommen für die Zahlung von Unterhalt einsetzen musste. Sollte diese Opfergrenze erreicht sein, sollte ein anderer Verwandter und damit letztendlich "die Familie" einspringen und den geschuldeten Kindesunterhalt zahlen. Auch der BGH wertet in seiner Entscheidung die Subsidiarität der verschärften Haftung der Eltern bei Vorhandensein leistungsfähigerer, aber nachrangiger Verwandter als ein Ausdruck einer generationenübergreifenden Solidarität.
Auch dieses Argument kann angezweifelt werden, da es eine solche grundsätzlich angenommene und damit allgemeingültige generationenübergreifende Solidarität mitt...