Zugleich Anmerkung zu BGH vom 27.10.2021 – XII ZB 123/21, FF 2022, 29
Einführung
Dass neben den Kindeseltern auch andere Verwandte für den Kindesunterhalt aufkommen müssen, insbesondere die Großeltern, steht zwar so im Gesetz. Diese Haftung wird aber in der Praxis kaum eingefordert, oftmals mangels Kenntnis über diese weitergehende Haftung von Verwandten.
Zudem besteht in der Rechtsprechung und in der Literatur auch Uneinigkeit darüber, ob die Haftung insbesondere der Großeltern erst dann eintritt, wenn die unterhaltsverpflichteten Eltern ihren notwendigen Selbstbehalt nicht mehr wahren können, oder ob diese Haftung bereits dann eintritt, wenn der angemessene Selbstbehalt durch die Zahlung des geschuldeten Kindesunterhalts tangiert wird.
Der BGH hat nunmehr in dem Beschl. v. 27.10.2021 entschieden, dass eine Haftung der Großeltern für den Unterhalt ihrer minderjährigen Enkel bereits dann eintreten kann, wenn der angemessene und nicht erst der notwendige Selbstbehalt der vorrangig verpflichteten Kindeseltern tangiert wird.
I. Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kindesvater wurde von dem antragstellenden Land aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Kindesunterhalt für sein minderjähriges Kind in Anspruch genommen. Die Ehe mit der Kindesmutter war zwischenzeitlich geschieden worden.
Der Kindesvater hatte ein bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.440,62 EUR (maßgeblicher Zeitraum 2016) und in Höhe von 1.465,82 EUR (maßgeblicher Zeitraum 2017). Die Fahrtkosten beliefen sich auf monatlich 61,56 EUR.
Die Kindesmutter verdiente aus einer Teilzeittätigkeit monatlich 1.015,99 EUR. Bei Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit hätte sie 1.279,22 EUR monatlich verdient.
Der Kindesvater zahlte auf den von ihm geschuldeten Kindesunterhalt monatlich 100 EUR und verwies hinsichtlich des restlichen Kindesunterhalts auf seine eigenen Eltern als weitere unterhaltspflichtige Verwandte, welche monatlich 3.473,09 EUR und 2.248,87 EUR verdienten. Er war der Ansicht, dass ihm angesichts der Leistungsfähigkeit seiner Eltern der angemessene und nicht nur der notwendige Selbstbehalt verbleiben müsse. Ferner vertrat er die Ansicht, dass er nur auf die Leistungsfähigkeit eines anderen Verwandten verweisen und nicht die Verteilung der innerhalb der Gruppe der Großeltern anteilig geschuldeten Unterhaltsbeträge nachweisen müsse.
Der BGH gab dem Kindesvater Recht und setzte sich in der Beschlussbegründung umfassend mit den zu diesen beiden Positionen vertretenen unterschiedlichen Meinungen auseinander.
II. Rechtliche Ausgangslage
§ 1603 Abs. 1 BGB gewährleistet jedem Unterhaltspflichtigen die Sicherung seines angemessenen Unterhalts. Es sollen ihm grundsätzlich die Mittel verbleiben, die er zur angemessenen Deckung des seiner Lebensstellung entsprechenden Bedarfes benötigt.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz wird bei einer Unterhaltsverpflichtung gegenüber minderjährigen Kindern gemacht. Hier wird nach § 1603 Abs. 2 BGB von den Eltern abverlangt, dass sie bis zu einem Minimum, berechnet nach dem Sozialhilfesatz, ihr gesamtes Einkommen zur Finanzierung des Kindesunterhalts einsetzen. Ihnen wird eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit auferlegt, wonach sie z.B. bis zur vollständigen Ausschöpfung der arbeitsrechtlich zulässigen Höchststundenzahl von bis zu 48 Arbeitsstunden pro Woche erwerbstätig sein müssen, oder auch Tätigkeiten unterhalb ihrer beruflichen Qualifikation ausüben müssen, um den Mindestunterhalt von minderjährigen Kindern zahlen zu können.
Um diese Zahlungsverpflichtung erfüllen zu können, soll ihnen dann auch nicht mehr der angemessene Selbstbehalt verbleiben, sondern nur noch der notwendige Selbstbehalt. Aktuell beziffert sich der angemessene Selbstbehalt auf 1.400 EUR, der notwendige Selbstbehalt dagegen nur auf 1.160 EUR für Erwerbstätige und 960 EUR für Nichterwerbstätige. Diese Selbstbehalte können erhöht werden, wenn die tatsächlich gezahlte Miete die in diesen Selbstbehalten enthaltene Warmmiete von 550 EUR (angemessener Eigenbedarf) bzw. von 430 EUR (notwendiger Eigenbedarf) übersteigt.
Nach § 1606 BGB haften vorrangig die Eltern von Kindern für die Zahlung des benötigten Kindesunterhalts.
Im Verhältnis der Eltern untereinander gilt zwar nach wie vor bei minderjährigen Kindern der in § 1606 Abs. 2 BGB enthaltene Grundsatz "einer zahlt, einer betreut", soweit kein Wechselmodell ausgeübt wird. Wenn aber der zahlungspflichtige Elternteil seinen Selbstbehalt nicht wahren kann, gilt auch der betreuende Elternteil nach § 1603 Abs. 2 BGB als anderer Verwandter. Neben der Betreuung der minderjährigen Kinder kann daher durchaus eine Barunterhaltsverpflichtung bestehen, zumal in § 1606 Abs. 2 BGB die Formulierung aufgenommen wurde, dass der betreuende Elternteil "in der Regel" seine Unterhaltsverpflichtung durch die Pflege und die Erziehung des Kindes erfüllt. Soweit von dieser Regel Abweichungen möglich sind, sollen diese Abweichungen aber auf Ausnahmen beschränkt bleiben.
Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn der barunterhaltspflichtige El...