Häufig wird in Beschwerdeverfahren auf neuen Vortrag von der Gegenseite in der Weise reagiert, dass dies als verspätet gerügt wird. Maßgeblich dafür ist jedoch die Vorschrift des § 115 FamFG, die nur in Ausnahmefällen eine Zurückweisung von neuem Vortrag erlaubt. § 115 FamFG ist insofern lex specialis gegenüber §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. 296 Abs. 2 ZPO. Die Vorschrift des § 115 S. 1 FamFG ist sowohl in erster als auch in zweiter Instanz anwendbar.

Stolperfalle:

Das Beschwerdeverfahren ist eine zweite Tatsacheninstanz in Familiensachen. Deshalb ist uneingeschränkter Vortrag möglich.

§ 115 FamFG erfasst Angriffs- und Verteidigungsmittel (Behauptungen, Beweismittel, usw.), die noch vor Schluss der mündlichen Verhandlung, jedoch unter Verletzung der allgemeinen Verfahrensförderungspflicht nicht rechtzeitig vorgebracht und mitgeteilt wurden. Sie "können" zurückgewiesen werden, wenn ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung auf grober Nachlässigkeit beruht. Die Zurückweisung steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts.[51]

§ 115 S. 1 FamFG ist in jeder Instanz gesondert zu prüfen. Die Präklusionsvorschriften der §§ 530, 531 ZPO werden von § 115 FamFG verdrängt, sind daher in zweiter Instanz nicht anwendbar, zumal auch § 117 Abs. 2 FamFG eine Verweisung auf die Präklusionsvorschriften der ZPO nicht enthält.

Angriffs- und Verteidigungsmittel können danach erneut in der Beschwerdeinstanz vorgebracht werden, auch wenn das Amtsgericht sie mit Recht zurückgewiesen hat.[52] Eine Zurückweisung nach § 115 S. 1 FamFG setzt danach voraus, dass in zweiter Instanz verspätet vorgetragen wurde. Ein verspäteter Vortrag in erster Instanz oder möglicher, aber unterlassener Vortrag in erster Instanz rechtfertigt damit keine Zurückverweisung nach § 115 S. 1 FamFG im Beschwerdeverfahren.

Selbst wenn die Voraussetzungen des § 115 FamFG im Einzelfall vorliegen sollten, ist die Zurückweisung nicht zwingend, sondern steht im Ermessen des Beschwerdegerichts, das dabei insbesondere auch die Folgen für die Beteiligten abzuwägen hat.[53]

[51] OLG Koblenz FamRZ 2021, 1372.
[52] Vgl. auch Prütting/Helms/Feskorn, § 117 Rn 45.
[53] OLG Koblenz FamRZ 2021, 1372.

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