Zugleich eine Anmerkung zum Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 27.6.2008 – 1 BvR 1265/08
I. Problemstellung
Die Entscheidung des BVerfG betrifft das häufig in der familiengerichtlichen Praxis anzutreffende Problem der ertrotzten Kontinuität, die sich – wie der Praktiker weiß – (allzu) häufig auszahlt. Folgender Sachverhalt lag der Entscheidung zugrunde:
Aus der Ehe der Parteien ging im Juli 2003 ein Kind hervor. Die Betreuung erfolgte im Wesentlichen durch den Vater. Im Zuge der Trennung der Eltern im Oktober 2007 verzog die Mutter – ohne Wissen und Zustimmung des Vaters – mit dem Kind zu ihrer eigenen Mutter und vereitelte sodann wochenlang den Umgang zwischen Vater und Kind.
Den zwei Tage nach dem eigenmächtigen Verbringen des Kindes durch die Mutter gestellten Eilantrag des Vaters auf vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn schickte das Amtsgericht zunächst für zwei Wochen zur Stellungnahme an das Jugendamt. Ein Termin zur mündlichen Anhörung fand erst etwa zwei Monate nach Einleitung des Eilverfahrens statt. Das Amtsgericht übertrug im Anschluss daran auf den Widerantrag der Mutter hin dieser mit Beschluss vom 27.12.2007 einstweilen das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind und ordnete im Hauptsacheverfahren die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Weder aus dem Willen und den Bindungen des Kindes noch aus den zeitlichen Betreuungsmöglichkeiten der Eltern ergebe sich eine Präferenz für einen Elternteil. Bei der Erziehungseignung bestünden keine offenkundigen Unterschiede. Daher entscheide die "vorläufige Kontinuität"; denn es sei zu vermeiden, dass das Kind öfter als nötig den Lebensmittelpunkt wechsele.
Die hiergegen vom Vater eingelegte sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 4.3.2008 zurück. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats würden vollzogene amtsgerichtliche Eilentscheidungen zur elterlichen Sorge, die – wie hier – nach Anhörung aller Beteiligten ergangen seien, im Beschwerdeverfahren nur abgeändert, wenn bis zur Entscheidung in der Hauptsache eine Kindeswohlgefährdung oder sonstige schwerwiegende Unzulänglichkeiten in der Versorgung des Kindes zu befürchten seien. Hieran fehle es; ein erneuter Wechsel bis zur nunmehr zeitnah zu erwartenden Hauptsacheentscheidung sei dem Kind nicht zumutbar.
II. Beschluss des BVerfG
Mit Beschluss vom 27.6.2008 hat das BVerfG die hiergegen vom Vater eingelegte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Allerdings wurde die Entscheidung des Amtsgerichts als verfassungswidrig angesehen und auch die Entscheidung des Oberlandesgerichts, obschon im Ergebnis gebilligt, aus verfassungsrechtlichen Gründen kritisch angemerkt.
Zwar habe sich die im Falle einer einstweiligen Sorgerechtsregelung zu treffende Abwägung nicht an der Sanktion des Fehlverhaltens eines Elternteiles zu orientieren, sondern vorrangig am Kindeswohl (BVerfG FamRZ 207, 1626). Zweifelhaft sei dabei aber, ob die spontane Herausnahme eines Kindes aus seinem bisherigen Lebensumfeld seinem Wohl diene, insbesondere dann, wenn der in der elterlichen Wohnung verbliebene Elternteil die Betreuung des Kindes zu übernehmen bereit und in der Lage sei (BVerfG FamRZ 1996, 1267).
Die allein auf die "vorläufige Kontinuität" gestützte Entscheidung des Amtsgerichts verkenne wesentliche Einzelfallumstände. Hierzu gehöre, dass für den Vater ebenfalls der Kontinuitätsgrundsatz streite (BVerfG FamRZ 1982, 1179), da er bis zum Auszug der Mutter die Hauptbetreuungsperson des Kindes gewesen sei. Das Amtsgericht habe sich nicht damit auseinandergesetzt, welches Gewicht dieser in der einvernehmlichen Rollenverteilung der Eltern angelegten Kontinuität im Vergleich zu der von der Mutter eigenmächtig hergestellten Kontinuität unter Kindeswohlaspekten zukomme. Es sei nicht darauf eingegangen, dass das Verhalten eines Elternteils, der plötzlich den Aufenthalt eines Kindes dauerhaft und ohne vorherige Absprache mit dem anderen, mitsorgeberechtigten Elternteil verändere, ein gewichtiger Aspekt im Rahmen der Beurteilung der Erziehungseignung eines Elternteils sei, die das Gericht auch schon im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mit den ihm in der zwangsläufigen Kürze der Zeit zur Verfügung stehenden Erkenntnismöglichkeiten vorläufig beurteilen müsse, zumal wenn – wie hier – der das Kind eigenmächtig verbringende Elternteil dem zurückgelassenen Elternteil zunächst keinen Umgang mit dem Kind gewähre, was auf mangelnde Bindungstoleranz hinweisen könne. Vor diesem Hintergrund hätte die Annahme des AG, im Hinblick auf die Erziehungseignung der Eltern bestünden "keine offenkundigen Unterschiede", näherer Darlegung bedurft. Dies gelte umso mehr, als – bei im Übrigen gleichwertigen äußeren Erziehungsumständen und Bindungen des Kindes – eine bessere Erziehungseignung auch dann den Ausschlag geben könne, wenn diese nicht offenkundig sei. Wenn und weil sich vorläufige Sorgerechtsentscheidungen regelmäßig faktisch zugunsten des Elternteils auswirkten, der das Kind ...