Kommen diese vier Vorgehensweisen nicht in Betracht, ist zunächst zu prüfen, ob die Angelegenheit eine solche Bedeutung für die Betroffenen hat, dass eine Fortführung des Verfahrens auch in Abwägung mit den Kontaktbeschränkungen angezeigt ist. Bei Anhörungen im Gericht ist ggf. auf die Einhaltung des Abstands zu achten. Wegen der grundlegenden Bedeutung der Anhörungen für die Sicherung der Rechte der Beteiligten sowie die Entscheidungsfindung ist nach Wegen zu suchen, wie diese in solchen Verfahren auch in Zeiten der Kontaktbeschränkungen durchgeführt werden können (Größe des Sitzungssaals, Mundschutz für die Beteiligten, geringe Dauer der Sitzung, persönliche Anhörungen der Eltern, ggf. – unter [vorläufigem] Verzicht auf eine Erörterung – gesondert).

Im Übrigen erlaubt das geltende Verfahrensrecht aber noch weitere Vorgehensweisen, die dem Prinzip der praktischen Konkordanz entsprechen:

1. Die einstweilige Anordnung kann zunächst ohne persönliche Anhörung/Termin erlassen werden. Sie hat vorläufig die gleiche Wirksamkeit wie eine Hauptsacheentscheidung. Das Gesetz erlaubt hier ausdrücklich eine Entscheidung auf nur summarischer Tatsachengrundlage. Die Nachholung der persönlichen Anhörung hat dann zu einem späteren Zeitpunkt, d.h. nach der Hochphase der Pandemie, zu erfolgen.

2. Das Verfahren der einstweiligen Anordnung kann so gestaltet werden, dass je nach Umständen einzelne Verfahrenshandlungen durchaus durchgeführt werden, also z.B. nur die persönliche Anhörung der Beteiligten und ihrer Verfahrensbevollmächtigten möglichst vollständig, aber ggf. auch einzeln, wenn ein Termin mit allen regulär zu Ladenden nicht in Betracht kommt.

3. Die persönliche Anhörung eines 4-jährigen oder 5-jährigen Kindes kann kaum unter Wahrung der Distanz durchgeführt werden. Die persönliche Anhörung eines älteren Kindes oder eines/einer Jugendlichen kann aber durchaus unter Wahrung der Distanz durchgeführt werden; das Kind oder der/die Jugendliche wird dieses Abstandsverhalten aus seinem Alltag kennen.

4. In manchen Fällen wird eine Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung sogar ein Hauptsacheverfahren überflüssig machen (z.B. die Regelung eines Umgangs, der dann anschließend auf freiwilliger Basis der Eltern so wie vom Gericht in der einstweiligen Anordnung geregelt weiter praktiziert wird). In anderen Fällen (v.a. §§ 1666, 1666a BGB und § 1632 Abs. 4 BGB, auf gewisse Dauer angelegte Eingriffe in die Grundrechte) darf auf summarischer Grundlage in die Grundrechte (etwa der Eltern) nicht dauerhaft eingegriffen werden, ein Hauptsacheverfahren ist dann nachzuholen, sobald die Kontaktbeschränkungen aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie es erlauben.

5. In der Rechtsmittelinstanz wird zu prüfen sein, ob mit Blick auf § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG die Wiederholung einzelner Verfahrenshandlungen, insbesondere von persönlichen Anhörungen, geboten ist.

Die persönliche Anhörung des Kindes kann in der Rechtsmittelinstanz ohnehin grundsätzlich von einem Richter des Senats durchgeführt werden. Unbeschadet dessen kommt auch in Kindschaftssachen prinzipiell die Übertragung auf den entscheidenden Einzelrichter in Betracht (§ 68 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 526 ZPO).

Autor: Prof. Dr. Rüdiger Ernst, Dr. Thomas Meysen

FF 5/2020, S. 178 - 179

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