Inge Saathoff
Oft sind in unserer Beratungspraxis aufgrund unserer langjährigen Erfahrung die Konstellationen so vorhersehbar, dass wir glauben, bei der Erstberatung die Geschichte zu Ende erzählen oder die Frage des Mandanten beantworten zu können, bevor dieser die Gelegenheit hatte, sie zu stellen. "Jetzt wollen Sie sicher wissen, …" ist eine Formulierung, die wohl jedem von uns schon über die Lippen gekommen ist.
Andererseits gibt es auch immer wieder kuriose oder absurde Geschichten, die man sich auch mit viel Phantasie nicht hätte ausdenken können, wie z.B. der besondere Fall in Heft 9/2020.
Außergewöhnliche Erlebnisse haben wir aber nicht nur bei den Lebenssachverhalten, auch die Justiz bereichert uns zuweilen mit überraschenden oder auch phantasievollen Entscheidungen. Dies dürfte aktuell, im Zusammenhang mit der Corona-Krise, der Arbeit im Home-Office oder bei den inzwischen auch schon durchgeführten reinen oder auch Hybrid-Videoverhandlungen erst recht gelten. Sowohl in den Kanzleien als auch bei den Gerichten kann von einem reibungslosen Übergang in die digitale Welt vermutlich kaum die Rede sein. Dies führt dann auch mal dazu, dass verfahrensrechtlich wohlgemeinte "Kunstgriffe" gewählt werden, um Verfahren zu erledigen, die den beteiligten Juristen unruhige Nächte zu der Frage bescheren, ob diese Entscheidung denn wohl halten mag. Trieb Sie vielleicht auch die Frage um, ob eine Anhörung der Beteiligten und daraufhin Scheidung im schriftlichen Verfahren wirksam ist?
Wenn Ihnen solche Fälle passieren oder auch in der Vergangenheit schon widerfahren sind, dann teilen Sie doch diese Erfahrungen mit Ihren Kollegen. Seit September 2020 gibt es hierfür in der FF die Rubrik "Der besondere Fall". Hier sollen spezielle, besonders bemerkenswerte oder interessante Fallgestaltungen in unregelmäßigen Abständen präsentiert werden, die zwar vielleicht nicht häufig auftreten, aber dennoch umso kurzweiliger zu lesen sind, da sie uns zeigen, dass die Welt manchmal viel verrückter ist, als man es in einem Drehbuch erfinden würde. Wenn wir uns schon nicht anlässlich einer Präsenzfortbildung hierüber austauschen können, dann schildern Sie auf diesem Weg, mit welchen sonderbaren Entscheidungen Sie zu kämpfen haben und bringen uns so wahlweise neue Erkenntnisse oder einfach nur, in den eingetretenen Pfaden des Alltages, zum Schmunzeln.
Sie haben solche Fälle nicht? Das mag ich kaum glauben. Schon bei der Fertigung dieses Editorials fiel mir zum Beispiel ein lange zurückliegendes Scheidungsverfahren ein, in welchem der Antragsgegner mit einem Scheidungsantrag zur Beratung erschien. Dabei ging es ihm nicht darum, sich gegen den Scheidungsantrag zu wehren, sondern er wies mich vielmehr darauf hin, dass er bereits seit längerer Zeit geschieden sei. Da der Mandant zum damaligen Zeitpunkt den Aufenthaltsort seiner Ehefrau nicht kannte und dieser auch nicht ermittelt werden konnte, wurde die Zustellung des Antrages im Wege der öffentlichen Zustellung bewilligt. Im nun späteren, "zweiten" Scheidungsverfahren hatte der zuständige Richter dennoch Zweifel, ob das ihm vorgelegte Urteil auch echt wäre. Da diese Zweifel nicht zu seiner vollen Überzeugung ausgeräumt werden konnten, entschied er sich zu einem Urteil, in welchem es hieß:
"1. Es wird festgestellt, dass die Ehe bereits durch Urteil des Familiengerichtes … vom … geschieden ist."
2. Hilfsweise wird die Ehe durch (heutiges) Urteil des Familiengerichtes … vom … geschieden.“
Um diese Rubrik mit besonderen Fällen bestücken zu können, sind wir auf Ihre Zuschriften an die Redaktion angewiesen.
Bereichern Sie daher unsere Lektüre der Zeitschrift mit Ihren Erfahrungen!
Autor: Inge Saathoff
Inge Saathoff, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Oldenburg
FF 5/2021, S. 177