Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt. Dies hat der 12. Zivilsenat des BGH unter dem AZ XII ZB 157/16 am 3.5.2017 entschieden, veröffentlicht in NJW 2017, 2826 ff., FamRZ 2017, 1057 ff. m. Anm. Löhnig, NZFam 2017, 521 ff. m. Anm. Schwedler.
Es liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kindesvater und die Kindesmutter sind die gemeinsam sorgeberechtigten, nichtehelichen Eltern einer damals 5 Jahre alten Tochter. Das Kind lebt bei der Kindesmutter. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Sie haben deshalb wechselseitig die alleinige Übertragung der Gesundheitssorge beim Amtsgericht – Familiengericht Erfurt – beantragt.
Der Vater befürwortet vorbehaltlos die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen. Er sieht sich im Rahmen der elterlichen Gesundheitssorge verpflichtet, sein Kind grundsätzlich gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen, soweit Schutzimpfungen verfügbar sind und diese von der ständigen Impfkommission des Robert-Koch-Institutes (STIKO) empfohlen werden. Die Mutter ist dagegen der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiege schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie eine anlassunabhängige Impfung des Kindes befürworten.
Das AG Familiengericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Kindesmutter hat das OLG Thüringen die Übertragung der Entscheidungsbefugnis beim Vater belassen, diese aber auf bestimmte Schutzimpfungen (Tetanus, Diphterie, Pertussis, Pneumokokken, Rotaviren, Meningokokken C, Masern, Mumps und Röteln) beschränkt. Der BGH hat dies bestätigt und die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen, veröffentlicht in FamRZ 2016, 1175 ff. m. Anm. Osthold und NZFam 2016 431 ff. m. Anm. Luthin.
Der BGH hat dies bestätigt und die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen. In der Begründung führt der BGH aus, dass die Impfempfehlungen der STIKO in der Rechtsprechung des BGH als medizinischer Standard anerkannt worden sind. Deshalb sei der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung höher als das Impfrisiko (vgl. BGHZ 144, 1, FamRZ 2000, 809, 811).
Der BGH erläutert, dass die STIKO als sachverständiges Gremium die Aufgabe habe, Empfehlungen zur Durchführung von Schutzimpfungen und anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe bei übertragbaren Krankheiten zu geben und Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Maß einer Impfreaktion hinausgehende gesundheitliche Schäden zu entwickeln.
Zweck des Impfschutzes sei es, übertragbaren Krankheiten beim Menschen vorzubeugen und ihre Weiterverbreitung zu verhindern. Impfungen würden sowohl dem Wohl des Einzelnen im Hinblick auf eine mögliche Erkrankung und in Bezug auf die Gefahr einer Weiterverbreitung als auch dem Gemeinwohl dienen. Auch mit dem letztgenannten Aspekt haben die Impfungen einen Bezug zum Schutz des individuellen Kindeswohls, weil das Kind, wenn es etwa noch nicht im impffähigen Alter ist, von der Impfung anderer Menschen, insbesondere anderer Kinder und der damit gesenkten Infektionsgefahr profitiere.
Vor diesem Hintergrund habe das OLG den Vater richtigerweise als besser geeignet angesehen, über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür maßgeblich darauf abgestellt, dass der Vater Impfungen offen gegenüberstehe und seine Haltung an der Empfehlung der STIKO orientiere.
Außerdem handelte es sich im konkreten Fall auch um kein Risikokind.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch drei weitere Entscheidungen zu diesem Thema mit gleichem Ergebnis:
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OlG Frankfurt v. 4.9.2015, veröffentlich in FamRZ 2016, 834 ff. und NZFam 2016, 125 ff. |
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AG Darmstadt FamRZ 2016, 248 ff., NZFam 2015, 778 ff. m. Anm. Luthin |
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sowie ganz aktuell AG Dieburg, Beschl. v. 7.12.2020, veröffentlicht in BeckRS 2020, 36616. |
Darüber hinaus gibt es noch eine Entscheidung des BVerfG vom 11.5.2020 im einstweiligen Anordnungsverfahren zur vorgeschriebenen Masernschutzimpfung, in der die Aussetzung des Vollzuges von § 20 des IfSG abgelehnt wurde (veröffentlicht in FF 2020, 300 ff.). Mit einer Hauptsacheentscheidung ist wohl noch in diesem Jahr zu rechnen.
Was folgt nun daraus?
Wenn Eltern bezüglich Impfungen nicht einig sind, müssen sie dies ggf. gerichtlich entscheiden lassen. Dies bedeutet nicht, dass die gesamte Gesundheitssorge übertragen wird, sondern nur die Entscheidungsbefugnis für die Durchführung von Schutzimpfungen. Der Elternteil, der sich an die Empfehlungen der STIKO hält, erhält auch die Entscheidungszuständigkeit für die Impfungen. Er selbst muss dann abwägen, ob es sich um ein Risikokind handelt und ggf. eine andere Entscheidung notwendig wäre.
Die aktuellen Empfehlungen der STIKO können über deren Homepage eingesehen werden.
Was ist jedoch, wenn das Kind...