Beim Erwerb der Alleinsorge durch den Vater sind zwei verschiedene Konstellationen zu berücksichtigen: erstens der Erwerb der Alleinsorge in Konkurrenz zur Mutter und zweitens der Erwerb der Alleinsorge nach Ausfall der Mutter.
a) Erwerb der elterlichen Sorge in Konkurrenz zur Mutter
Im Gegensatz zu der oben unter Ziff. 2 besprochenen Fallgruppe tritt hier die Alleinsorge der Mutter nicht in Konkurrenz zur gemeinsamen Sorge beider Eltern, sondern zur Alleinsorge des Vaters. Gute Gründe sprechen daher für eine Anwendung des § 1696 Abs. 1 BGB: Im Gegensatz zur Begründung des gemeinsamen Sorgerechts dient ein Sorgerechtswechsel nicht zur Verfestigung der Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen und dürfte zudem regelmäßig mit einem Umzug des Kindes verbunden sein. Die notwendige Stabilität auch im Hinblick auf das soziale Umfeld des Kindes spricht dagegen, einen Wechsel bereits dann vorzunehmen, wenn sich ein Elternteil – auch nur vorübergehend – als der bessere erweist. Im Übrigen wäre nach geltendem Recht auch bei einer späteren Rückübertragung der Sorge auf die Mutter § 1696 Abs. 1 BGB anzuwenden.
Mit diesen Überlegungen lässt sich ein weiteres Anliegen verbinden: die Reduzierung der Anzahl der unterschiedlichen Stufen des Entscheidungsmaßstabs "Kindeswohl", mit denen bislang im Elternkonflikt operiert wird (§ 1696 Abs. 1 S. 1 BGB: "triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe"; § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB: "dem Wohl des Kindes am besten entspricht"; § 1672 Abs. 1 S. 2 BGB: "dem Wohl des Kindes dient"; § 1672 Abs. 2 S. 1 BGB: "dem Wohl des Kindes nicht widerspricht"). Mit der hier vorgeschlagenen Regelung wären alle Kinder bei der Übertragung der elterlichen Sorge von einem Elternteil auf den anderen Elternteil gleichgestellt.
b) Erwerb der elterlichen Sorge nach Ausfall der Mutter
In Fällen, in denen die Mutter z.B. auf Grund von Krankheit, Tod oder Sorgerechtsentziehung vollständig ausfällt (§ 1678 Abs. 2, § 1680 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, § 1681 Abs. 1 BGB), sieht das Gesetz für den Erwerb der elterlichen Sorge des Vaters eine positive Kindeswohlprüfung vor ("dem Wohl des Kindes dient"). Im Jahre 2005 hat das BVerfG § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater in Fällen, in denen dieser "über einen längeren Zeitraum die elterl. Sorge für die Kinder zwar nicht in rechtlicher, aber in tatsächlicher Hinsicht wahrgenommen hat, [ … ] regelmäßig dem Kindeswohl dient, solange nicht konkret feststellbare Kindesinteressen der Übertragung widersprechen".
Diese Entscheidung, die – mit dem Wortlaut der Norm und dem Gesetzgeberwillen nur schwer vereinbar – faktisch aus der positiven Kindeswohlprüfung eine negative Kindeswohlprüfung macht, wird für die künftige Reform richtungsweisend sein. In Fällen, in denen der Staat weder in seiner Funktion als Wächter (Kindeswohlgefährdung) noch als Schlichter im Elternkonflikt zum Eingriff in das Elternrecht berechtigt ist, steht die Elternverantwortung den Eltern, d.h. hier dem Vater, uneingeschränkt zu, so dass generell beim Ausfall der Mutter nur eine negative Kindeswohlprüfung ("dem Kindeswohl widerspricht") von Verfassungs wegen in Betracht kommt. Nach ständiger Rspr. des BVerfG weist Art. 6 Abs. 2 GG primär den Eltern das Recht zur Erziehung zu; es gehört nicht zur Ausübung des staatlichen Wächteramtes, "gegen den Willen der Eltern für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen".
Diese Erwägungen gelten nach Auffassung des BGH auch schon jetzt im Falle der Adoptionsfreigabe durch die Mutter: "Ruht die alleinige elterliche Sorge der Mutter (§ 1626a II BGB), weil diese der Adoption ihres Kindes zugestimmt hat (§ 1751 I BGB), bedarf ein Antrag des Vaters auf Übertragung des alleinigen Sorgerechts nach § 1672 I BGB nicht mehr ihrer Zustimmung. In einem solchen Fall ist dem Antrag des Vaters im Rahmen einer verfassungsgemäßen Auslegung des § 1672 I S. 2 BGB und unter Beachtung der EMRK schon dann stattzugeben, wenn die Übertragung der elterlichen Sorge auf den Vater dem Wohl des Kindes ‘nicht widerspricht’ [Folgeentscheidung im Fall ‘Görgülü’]."
Bei einer einheitlichen Regelung mit negativer Kindeswohlprüfung für alle Fälle eines Ausfalls der Mutter wäre auch folgender BGH-Fall anders zu entscheiden ge...