Selbst wenn die Entscheidung des EGMR mit dem Urteil des BVerfG vom 29. Januar 2003 zur elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern in Widerspruch stehen würde, wäre dies nur dann von Relevanz, wenn die Entscheidung des EGMR zu einer Einschränkung bzw. Minderung des Grundrechtsschutzes führen würde; in allen anderen Fällen ist das Grundgesetz menschenrechtskonform auszulegen. Allerdings hat das BVerfG in der Entscheidung zum Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB aus dem Jahr 2007 eine Position vertreten, die mit Blick auf das Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK ohnehin auf der Linie der Entscheidung des EGMR liegt:
"Jedem rechtlich ausgewiesenen Elternteil kommt das in Art. 6 Abs. 2 GG verankerte Elternrecht zu, welches ihm auch die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes auferlegt, egal, ob das Kind ehel. oder ne. geboren ist oder ob es einer flüchtigen oder festen Verbindung seiner Eltern entstammt. [ … ] Art. 6 Abs. 5 GG verbietet hier eine Differenzierung nach der Art der elterl. Beziehung [ … ]."
Aber auch für den Fall des Elternkonflikts sind keine Unterschiede zur Rspr. des EGMR zu erkennen, denn auch das BVerfG stellt bei der Entscheidung über die elterliche Sorge allein auf das Kindeswohl ab:
"Da die Elternrechte beider Eltern gleichwertig sind, kann nur das Kindeswohl einen Eingriff in das Elternrecht des jeweils benachteiligten Elternteils rechtfertigen [ … ]. Eine staatliche Entscheidung, die das Elternrecht beeinträchtigt, aber nicht dem Wohl des Kindes dient, verletzt deshalb Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG."
Bereits Jahre vor der Kindschaftsrechtsreform 1998 hatte das BVerfG zudem entschieden, dass im Falle der Trennung nicht miteinander verheirateter Eltern "die Lösung dieses Konfliktes unabhängig von der bisherigen rechtlichen Zuordnung des Kindes auf dessen Wohl ausgerichtet sein" muss.
Dieses Verständnis von Art. 6 Abs. 2 S. 1 und Abs. 5 GG bedeutet allerdings nicht, dass der Gesetzgeber alle Eltern-Kind-Verhältnisse gleich behandeln und allen Vätern nichtehelich geborener Kinder mit der Geburt die elterliche Sorge zuweisen müsste. Bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts darf der Gesetzgeber vielmehr auch für bestimmte Konstellationen typisierend Sonderregelungen vorsehen, sofern er sich hierbei nicht vom Status oder Geschlecht der Eltern, sondern von kindeswohlorientierten Kriterien leiten lässt, und außerdem eine richterliche Überprüfung des Einzelfalls ermöglicht. Darüber hinaus kann es im Elternkonflikt zum Wohle des Kindes geboten sein, die beiden Elternteilen zustehende Verantwortung aus Art. 6 Abs. 2 GG nicht in gemeinsamen oder gleichwertigen Rechten münden zu lassen, sondern eine Aufteilung der elterlichen Verantwortung in Sorgerecht einerseits und Umgangsrecht andererseits vorzunehmen.
Anhand dieser Vorgaben des GG und der EMRK wird der deutsche Gesetzgeber drei Regelungsbereiche des nichtehelichen Eltern-Kind-Verhältnisses auf den Prüfstand stellen müssen: erstens die originäre Zuweisung der Alleinsorge an die Mutter, zweitens die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge und drittens den Erwerb der Alleinsorge durch den Vater.