Als Reaktion auf die Entscheidung des EGMR hat die Bundesregierung bereits für diese Legislaturperiode einen Gesetzesentwurf zur Neuregelung der elterlichen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern angekündigt.[1] Mit dieser Reform könnte das schon vor der Kindschaftsrechtsreform 1998 gegebene Versprechen eines Abbaus der rechtlichen Unterschiede zwischen in und außerhalb einer Ehe geborenen Kindern endlich eingelöst werden.[2] Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers ist freilich groß und zahlreiche (unterschiedliche) Vorschläge aus dem Schrifttum liegen bereits seit Jahren auf dem Tisch.[3] Vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR hat jetzt Löhnig drei Lösungsvorschläge genannt, die von einer Ersetzung der Sorgeerklärung der Mutter auf Antrag des Vaters bis hin zur gemeinsamen Sorge der nicht miteinander verheirateten Eltern kraft Gesetzes reichen.[4] Da auch ein gemeinsames Sorgerecht kraft Gesetzes mit Korrekturmöglichkeiten durch die Gerichte (Ausschluss ungeeigneter Eltern bei Kindeswohlgefährdung oder Beendigung der gemeinsamen Sorge bei erheblichen und dauerhaften Elternkonflikten)[5] verfassungsrechtlich zulässig wäre,[6] werden bei einer Reform weitere Gesichtspunkte zu beachten sein. Neue Gesichtspunkte könnte die vom Bundesjustizministerium für Ende 2010 angekündigte Studie bringen, beispielsweise könnte sie eine Prognose, welches Modell aus prozessökonomischen Gründen vorzuziehen ist, zulassen.

Vorbehaltlich der Ergebnisse aus der derzeit noch nicht abgeschlossenen Rechtstatsachenforschung verstehen sich die im Folgenden zur Diskussion gestellten Vorschläge als moderate Weiterentwicklung des geltenden Rechts unter Berücksichtigung der Vorgaben des GG und der Rspr. des EGMR.[7]  

[1] SZ v. 4.12.2009, S. 6.
[2] So die Erklärung des damaligen Bundesjustizministers Schmidt-Jortzig, ZfJ 1996, 444: "Das wichtigste Ziel unserer Reform ist der Abbau der rechtlichen Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern." Vgl. weiter BR-Drucks 180/96, S. 1; BT-Drucks 13/4899, S. 29.
[3] Vgl. etwa Fink (Anm. 18), S. 93 ff.; Staudinger/Coester (2007), § 1626a BGB, Rn 8; ders., FPR 2005, 61 ff.; ders., FamRZ 2007, 1139 ff.; Muscheler, Die elterliche Sorge des nichtehelichen Vaters, in: Helms/Zeppernick (Hrsg.), Lebendiges Familienrecht, Festschrift für Rainer Frank, 2008, S. 463, 466 ff.
[4] Löhnig, FamRZ 2010, 339 ff. Ähnliche Modelle hat bereits vor einigen Jahren die Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags e.V., JAmt 2005, 490 ff. vorgeschlagen. Die Vorschläge von Coester, NJW 2010, 483 f. bauen auf seinen in Anm. 39 genannten Veröffentlichungen auf.
[5] Befürwortend etwa Muscheler (Anm. 39), S. 470; Löhnig, FamRZ 2010, 340; Scherpe, RabelsZ 2009, 956 f.; ablehnend Fink (Anm. 18), S. 130 f.
[6] So auch Muscheler (Anm. 39), S. 470 f. Auch sehen etliche europäische Rechtsordnungen (neben Belgien, Frankreich und Spanien vor allem osteuropäische Staaten wie Kroatien, Litauen, Polen, Russland und die Tschechische Republik) die gemeinsame Sorge kraft Gesetzes von Geburt an vor; dazu Scherpe, RabelsZ 2009, 956 f. m.w.N.
[7] Neue Leitbilder fordert hingegen Löhnig, FamRZ 2010, 340.

1. Originäre Zuweisung der elterlichen Sorge an die Mutter

Die Konzeption des geltenden Rechts, die die Zuweisung des gemeinsamen Sorgerechts zum Zeitpunkt der Geburt vom Konsens der Eltern abhängig macht und diesen Konsens nur bei verheirateten Eltern vermutet, im Übrigen aber entsprechende Erklärungen der Eltern verlangt, ist angesichts der (vermuteten) vielfältigen Formen außerehelicher Elternschaft verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.[1]   Der verfassungsrechtlich vorgegebene Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers dürfte sich erst dann reduzieren, wenn sich die Annahme, ein nicht unerheblicher Teil der nicht miteinander verheirateten Eltern wolle die Sorge nicht gemeinsam ausüben und könne dies mangels einer tragfähigen sozialen Elternbeziehung auch nicht, auf der Grundlage der laufenden Studie als völlig haltlos erweisen sollte. Derzeit wissen wir aber beispielsweise noch nicht, wie häufig Väter nichtehelich geborener Kinder ein so großes Desinteresse an der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung haben,[2] dass sie – wie in dem jüngst vom BVerfG entschiedenen Fall zur Umgangspflicht des Vaters – selbst jede Form des Umgangs verweigern.[3]

Auch die originäre Zuweisung der elterlichen Sorge an die Mutter und nicht an den Vater ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil sie nicht nur im Hinblick auf eine eindeutige (der Rechtssicherheit dienende) Zuordnung im Moment der Geburt die praktikablere Lösung ist, sondern regelmäßig auch kindeswohlbestimmt ist: Typischerweise steht das Neugeborene auf Grund biologischer und soziologischer Gegebenheiten in einem besonderen Näheverhältnis zur Mutter.[4] Ausdrücklich hat auch der EGMR diese Regelung des deutschen Kindschaftsrechts akzeptiert.[5] Eine solche typisierende Regelung, die eine originäre geschlechtsspezifische Zuweisung der elterlichen Sorge ohne vorherige Kindeswohlprüfung vorsieht, wird schließlich nicht...

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