I. Einführung
Am 3. Dezember 2009 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschieden, dass das deutsche Familienrecht Väter nichteheliches Kind geborener Kinder beim Zugang zur (gemeinsamen) elterlichen Sorge diskriminiert, insbesondere der generelle Ausschluss einer gerichtlichen Einzelfallprüfung der Alleinsorge der Mutter (§ 1626a Abs. 2 BGB) gegen Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 14 EMRK verstößt. Seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998, deren Anliegen die Schaffung eines vom Status der Eltern weitgehend unabhängigen Kindschaftsrechts war, musste der Gesetzgeber bereits mehrfach und in nahezu allen Regelungsbereichen des nichtehelichen Eltern-Kind-Verhältnisses (Abstammung, Sorge, Umgang und Betreuungsunterhalt) nachbessern – in den meisten Fällen allerdings auf Grund der Vorgaben des BVerfG. Die Reaktionen des Gesetzgebers auf die lange Liste einschlägiger Entscheidungen des BVerfG fielen bislang nicht besonders innovativ aus. Die Aufträge wurden meist eng verstanden und teilweise so umgesetzt, dass die Nachbesserungen (etwa Art. 224 § 2 Abs. 3-5 EGBGB) den Charakter eines Fallrechts erreichten. Die wichtigsten Entscheidungen und Gesetzesänderungen seien hier in aller Kürze nochmals genannt:
Im Januar 2003 hat das BVerfG § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB in Bezug auf sog. Altfälle (Trennung der Eltern vor Inkrafttreten des Kindschaftsrechtsreformgesetzes am 1.7.1998) für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, erstens für die Altfälle bis zum 31.12.2003 eine Übergangsregelung vorzusehen und zweitens bezüglich aller anderen Fälle die tatsächliche Entwicklung zu beobachten und zu prüfen, ob die § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB zugrunde liegenden Prämissen vor der Wirklichkeit Bestand haben können. Der erste Auftrag wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung familienrechtlicher Entscheidungen des BVerfG vom 13.12.2003 und der Schaffung einer Übergangsregelung für Altfälle in Art. 224 § 2 Abs. 3-5 EGBGB rechtzeitig umgesetzt. Die Erfüllung des zweiten Auftrags, die Überprüfung der gesetzgeberischen Prämissen von 1998 auf der Grundlage einer aussagekräftigen Rechtstatsachenforschung, steht hingegen sieben Jahre nach der Entscheidung noch immer aus – auch darauf hat der EGMR hingewiesen. Immerhin hat das Bundesministerium der Justiz inzwischen den Handlungsbedarf erkannt und im September 2008 zur Erfüllung des Auftrags ein Forschungsvorhaben ausgeschrieben, dessen Ergebnisse Ende 2010 vorgelegt werden sollen.
Die Hintertür, die das BVerfG in dieser ersten Entscheidung noch offen gelassen hatte, wurde dann im April 2003 mit der Folgeentscheidung zum Zusammenspiel von § 1626a Abs. 2 BGB und § 1672 Abs. 1 S. 1 BGB gleich wieder zugeschlagen. Zu Recht hat Michael Coester in einer kritischen Anmerkung die Behauptung des Senats, mit der ersten Entscheidung seien alle wesentlichen Fragen zum Sorgerecht nicht miteinander verheirateter Eltern geklärt worden, als "unverständliche Fehlbeurteilung" bezeichnet.
Ebenfalls im April 2003 hat das BVerfG die Rechte von biologischen Vätern, die (noch) nicht als rechtliche Väter anerkannt sind, gestärkt und dem Gesetzgeber aufgegeben, die Regelungen über die Vaterschaftsanfechtung und den Umgang dieser Väter bis zum 30.4.2004 verfassungsgemäß auszugestalten. Auch diesen Auftrag hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft und das Umgangsrecht von Bezugspersonen des Kindes vom 23.4.2004 (§ 1600 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2-3 BGB und § 1685 Abs. 2 BGB) rechtzeitig umgesetzt.
Seit 2005 folgten dann in kurzen Abständen weitere Entscheidungen zur verfassungskonformen Auslegung von § 1680 Abs. 2 S. 2 BGB (auf diese Entscheidung wird später noch zurückzukommen sein), zur verfassungskonformen Auslegung von § 1748 Abs. 4 BGB (Ersetzung der Einwilligung des nicht sorgeberechtigten Vaters im Falle der Stiefkindadoption seines nichtehelich geborenen Kindes) sowie zur Verfassungswidrigkeit der unterschiedlichen Ausgestaltung des Betreuungsunterhalts nach § 1615 l Abs. 2 S. 3 BGB und § 1570 BGB. Die Entscheidung zum Betreuungsunterhalt hatte zur Folge, dass das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz nicht wie geplant zum 1.7.2007, sondern in nachgebesserter Form zum 1.1.2008 in Kraft trat.
An zahlreichen – auch frühzeitigen – Mahnungen von Seiten des Schrifttums, die elterliche Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern verfassungskonform auszugestalten, hat es nicht gefehlt. Wenig nachvollziehbar ist schließlich auch, warum sich der Gesetzgeber in Zeiten, in denen gleichgeschlechtlichen Paaren die – verfassungsrechtlich keineswegs gebotene, wenngleich rechtspolitisch zu begrüßende – Möglichkeit eingeräumt wird, ihre Partnerschaft der Ehe vergleichbar verbindlich auszugestalten, so schwer damit tut, das Kindschaftsrecht – obwohl verfassungsrechtlich geboten – nicht länger am Status der Eltern auszurichten, sondern an ihrer Bereitschaft, zum Wohle des Kindes Verantwortung zu übernehmen.