Stellungnahme der Kinderrechtekommission des Deutschen Familiengerichtstags (v. 22.2.2011)
I. Ausgangspunkt, Thematik
1. Die Bundesjustizministerin hatte zum Jahreswechsel "Eckpunkte" für die bevorstehende Sorgerechtsreform bekannt gegeben, die das breite bisherige Diskussionsspektrum auf ein – noch nicht in allen Einzelheiten festgelegtes – Grundmodell verengen.
Rechtlicher Ausgangspunkt soll nach diesem Modell die Alleinsorge der Mutter im Moment der Geburt sein (Primärsorge der Mutter). Der Vater kann jedoch eine Sorgeerklärung abgeben, wonach er gemeinsam mit der Mutter Sorgeverantwortung für das Kind übernehmen möchte. Diese Erklärung löst eine achtwöchige Frist aus, binnen derer die Mutter Widerspruch erheben kann (zwischenzeitlich ist auch eine längere Widerspruchsfrist ins Gespräch gekommen). Widerspricht die Mutter nicht, tritt mit Fristablauf automatisch gemeinsames Sorgerecht ein. Widerspricht jedoch die Mutter, hat das Familiengericht zu entscheiden, ob die "gemeinsame Sorge dem Kindeswohl entspricht oder nicht" (tendenziell ähnlich schon ein Antrag der GRÜNEN, BT-Drucks 17/3219, vom 6.10.2010).
In jüngster Zeit sind des Weiteren Überlegungen im BMJ bekannt geworden, ob dieses Modell angereichert werden sollte durch ein gemeinsames Sorgerecht beider nichtehelichen Eltern kraft Gesetzes, wenn Eltern und Kind in faktischer Familiengemeinschaft zusammenleben.
2. Die (multidisziplinär zusammengesetzte) Kinderrechtekommission des DFGT hat sich mit diesen Reformvorschlägen auseinandergesetzt und möchte mit den im Folgenden skizzierten Überlegungen einen Beitrag zum weiteren Diskussionsprozess leisten. Im Ergebnis hält die Kommission den Grundansatz (Primärsorge der Mutter, gemeinsames Sorgerecht aufgrund einseitiger Sorgeerklärung des Vaters) für eine rechtlich wie rechtspolitisch begrüßenswerte Lösung; die Kombination mit einer fristgebundenen Widerspruchsmöglichkeit der Mutter wie auch mit gesetzlicher gemeinsamer Sorge bei zusammenlebenden Eltern wirft jedoch viele Probleme auf und sollte im Ergebnis ersatzlos wegfallen.
II. Rechtliche Vorgaben; rechtspolitischer Gestaltungsspielraum
Der deutsche Reformgesetzgeber muss die verbindlichen Vorgaben des Verfassungsrechts, des Völkerrechts (insbesondere der EMRK) sowie der Europäischen Union beachten. Diese setzen zwar indisponible Eckdaten, wie insbesondere die letztlich entscheidende Bedeutung der Kindesinteressen bei der Entscheidung von Elternkonflikten, aber auch die grundsätzliche Gleichrangigkeit der Rechte von nichtehelicher Mutter und nichtehelichem Vater. Diese Eckdaten lassen dem Gestaltungsermessen des einfachen Gesetzgebers aber noch viel Raum. So hat das BVerfG in seinem Beschl. v. 21.7.2010 (1 BvR 420/09) betont, dass sowohl ein gemeinsames Sorgerecht beider nichtehelicher Eltern kraft Gesetzes (rechtliche Etablierung der Vaterschaft vorausgesetzt) verfassungskonform wäre (ex-lege-Modell; "Elternmodell"), wie auch eine Primärzuweisung des Sorgerechts zunächst nur an die Mutter, mit kontrollierter Zugangsmöglichkeit auch des Vaters zum gemeinsamen Sorgerecht oder zur alleinigen Sorge (Antragsmodell; "Muttermodell"; vgl. Rn 42 ff. des Beschlusses).
In gleichem Sinne beanstandet auch der EuGHMR unter dem Gesichtspunkt der "Achtung des Familienlebens" des Vaters (Art. 8 Abs. 1 EMRK) nicht schon eine gesetzliche Primärzuweisung des Sorgerechts an die Mutter (Entscheidung "Zaunegger" vom 3.12.2009, Rn 54, 55; Entscheidung "Sporer v. Austria" vom 3.2.2011, Rn 80–85), sondern erst die nur eingeschränkten rechtlichen Möglichkeiten des Vaters im gegenwärtigen deutschen bzw. österreichischen Recht, die Mitsorge oder Alleinsorge zu erlangen (Entscheidung "Zaunegger" Rn 56–59, 63; Entscheidung "Sporer" Rn 86–91).
Dieser Linie folgt schließlich auch der EuGH bei der Prüfung der Frage, ob das in Art. 2 Nr. 9 der EG-Verordnung 2201/2203 vom 27.11.2003 ("Brüssel IIa-VO") definierte "Sorgerecht" im Lichte der Grundrechtecharta der Union (Art. 7: Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) verlangt, dass der nichteheliche Vater von vornherein kraft Gesetzes an der elterlichen Sorge beteiligt sein muss (Rs. C-400/10 PPU; J.McB. V. L.E., Urt. v. 5.10.2010). Der EuGH begnügt sich dabei nicht mit der generellen Feststellung, dass Art. 7 der Grundrechtecharta inhaltsgleich mit Art. 8 Abs. 1 EMRK sei (Rn 53 des Urteils); vielmehr stellt er ausdrücklich fest, dass Art.7 der Grundrechtecharta nicht notwendig eine "automatische" (gesetzliche) Sorgebeteiligung des Vaters verlange, wohl aber sein Recht, eine gerichtliche Zuerkennung des Sorgerechts beantragen zu können (Rn 55, 57 des Urteils).
Damit formulieren alle drei Gerichte in erfreulicher Einmütigkeit die Minimalanforderungen höherrangigen Rechts für eine kindes- und elternrechtskonforme Sorgerechtsgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber. Über eine optimale Gestaltung hatten die Gerichte nicht zu urteilen – diese Frage gehört zur Gestaltungsfreiheit und -verantwortung des nationalen Gesetzgebers.
Es besteht nach Auffassung der Kinderrechtekommission kein Zweifel, dass die in Deutschland nunmehr vorr...