Einführung
Der vom Bundesjustizministerium im vergangenen Jahr vorgelegte Diskussionsteilentwurf zum Abstammungsrecht gibt Anlass, sich etwas grundsätzlicher mit einigen Rechtsfragen des Eltern-Kind-Verhältnisses auseinanderzusetzen. Insbesondere soll hier gezeigt werden, wie sich die grundgesetzlichen Vorgaben – dabei allem voran das Kindeswohl, aber auch das Elterngrundrecht, der Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung – auswirken und welche Grenzen diese dem Gesetzgeber bei der Neugestaltung des Abstammungsrechts setzen.
I. Einführung
1. Reformbedarf
Aus verschiedenen Gründen haben sich die Fragen des Abstammungsrechts seit der letzten Reform im Jahr 1998 deutlich verschoben, sodass eine erneute Gesetzesänderung dringend erforderlich scheint.
Ein erster Grund ist einfach, dass die gesellschaftliche Haltung zu Familien, die nicht dem klassischen Muster des Ehepaars mit Kindern entsprechen, liberaler geworden ist. Heute führt es nicht mehr – oder jedenfalls nur noch in geringem Maße – zu gesellschaftlichen Nachteilen, wenn man sich scheiden lässt, oder wenn man Kinder bekommt, ohne vorher zu heiraten. Auch das Zusammenleben von gleichgeschlechtlichen Paaren ist gesellschaftlich endlich weitgehend akzeptiert. Dadurch sind die Familienformen vielfältiger geworden und das Abstammungsrecht hat die Aufgabe, eine sichere und passende Grundlage für das Aufwachsen der Kinder auch in diesen veränderten Verhältnissen zu bieten.
Ein zweiter, ganz wichtiger Grund besteht darin, dass heute deutlich weniger Kinder geboren werden als noch vor dreißig Jahren. Das hat zur Folge, dass viele Erwachsene viel stärker als früher das Bedürfnis danach haben, für diese Kinder Verantwortung zu übernehmen. Heute lösen sich bestehende familiäre Beziehungen zu Kindern deshalb auch nach Trennungen viel seltener völlig auf. Stattdessen kommt es eher zu einer Erweiterung der Zahl der Bezugspersonen für das Kind, weil die jeweiligen neuen Partner sich auch verantwortungsbewusst um das Kind bemühen. So kommt es, dass der Wunsch von mehr als nur zwei Personen zusammen die Elternrolle für ein Kind zu übernehmen, keine Seltenheit mehr ist. Diese Wirklichkeit und die mit ihr verbundenen Konflikte rechtlich treffend abzubilden, und geeignete rechtliche Instrumente für die unterschiedlichen Familien vorzusehen, stellt eine Herausforderung dar. Es müssen verschiedene grundlegende Angelegenheiten geregelt werden. Zunächst muss die ganz wesentliche Frage geklärt werden, welche Personen die rechtlichen Eltern des Kindes sind oder sein können.
Hierbei können sich Konflikte vor allem dann ergeben, wenn ein genetischer und ein rechtlicher Vater um die Vaterstellung konkurrieren. Das ist möglich, weil sich nach der Konzeption des § 1592 BGB die genetische und rechtliche Vaterschaft nicht zwangsläufig decken.
Damit deutet sich der dritte Grund für den Reformbedarf bereits an, nämlich der medizinische Fortschritt. Den klarsten Einschnitt in der Wahrnehmung von Abstammungsverhältnissen dürfte hierbei die Möglichkeit bilden, einen genetischen Vaterschaftstest durchzuführen. Es hat sich sehr stark ausgewirkt, dass genetische Vaterschaftstests seit Ende der 1990er Jahre plötzlich allgemein zur Verfügung standen, so dass die genetische Verwandtschaft sich erstmals sicher und unkompliziert nachweisen ließ. Ganz besonders der heutige Bedeutungszuwachs der genetischen Vaterschaft wäre ohne diese Tests nicht denkbar gewesen. Aber im Bereich des medizinischen Fortschritts gibt es ein weiteres wichtiges Element. Es handelt sich um die veränderte Bedeutung "alternativer" Fortpflanzungsmethoden. Diese Methoden sind ganz überwiegend nicht wirklich neu, aber sie werden gesellschaftlich anders wahrgenommen und teilweise auch häufiger genutzt. Vor allem lesbische Paare und alleinstehende Frauen nutzen heute die heterologe Insemination. Auch die in Deutschland verbotenen Methoden, wie die Eizellspende und Leihmutterschaft werden von deutschen Paaren, die dazu ins Ausland reisen, vermehrt in Anspruch genommen.
Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber eine Reform des Abstammungsrechts in Angriff genommen. Dabei wurde zur Vorbereitung schon im Jahr 2016 ein Arbeitskreis eingesetzt, der bereits 2017 seinen Abschlussbericht vorgelegt hat. Der derzeit vorliegende Diskussionsteilentwurf des BMJV nimmt einige der zentralen Problemfragen auf, bleibt insgesamt aber doch eher zurückhaltend. Wichtig ist für die Gesamteinschätzung als Vorabinformation noch, dass die fortpflanzungsmedizinischen Regelungen nicht Teil der Reformpläne sind. Schon die Aufgabenbeschreibung des Arbeitskreises schloss deren Einbeziehung aus. Die Abstammungsreform beschränkt sich in diesem Bereich ganz darauf, auf das geltende Recht mit all seinen Verboten zu reagieren.