I. Das aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG folgende Elternrecht auf Pflege und Erziehung der Kinder ist ein natürliches Recht der Eltern,[1] so dass sie grundsätzlich frei von staatlichen Einflüssen und Eingriffen nach eigenen Vorstellungen darüber entscheiden, wie sie die Pflege und Erziehung ihrer Kinder gestalten.[2] Oberste Richtschnur ist allein das Kindeswohl.[3]

Gleichzeitig leitet sich aus Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 GG der Anspruch des Kindes auf Schutz des Staates ab, wenn die Eltern ihrer Pflege- und Erziehungsverantwortung nicht gerecht werden. Dabei ist der Staat nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Pflege und Erziehung eines Kindes sicherzustellen. Er hat die Kontroll- und Sicherungsverantwortung, dass sich ein Kind in der Obhut seiner Eltern zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit entwickeln kann.[4] Die dazu etwaig notwendig werdenden Schutzmaßnahmen orientieren sich an dem Ausmaß des elterlichen Versagens sowie daran, was im Interesse des Kindes geboten ist,[5] wobei es allerdings nicht zum staatlichen Wächteramt gehört, gegen den Willen der Eltern, für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kinds zu sorgen.[6]

Einfachrechtliche Ausgestaltung des dem Staat nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG insoweit obliegenden Wächteramts ist § 1666 BGB,[7] der zugleich die durch Art. 8 EMRK geforderte staatliche Achtung des Familienlebens konkretisiert.[8] Etwaige nach § 1666 BGB einzuleitenden familiengerichtlichen Maßnahmen setzen tatbestandlich voraus, dass eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, d.h. eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr, dass bei weiterer Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes entweder bereits eingetreten oder mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.[9] Die Annahme der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Schädigung muss auf konkreten Verdachtsmomenten beruhen, d.h. allein abstrakte Gefahren genügen nicht. Letztlich muss der drohende Schaden für das Kind erheblich sein. Werden gerichtlich Maßnahmen zur Gefahrenabwendung eingeleitet, so müssen diese gem. § 1666a BGB dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen, d.h. sie müssen zur Gefahrenabwehr geeignet,[10] sie müssen erforderlich (niederschwelligere Maßnahmen scheiden aus)[11] und sie müssen verhältnismäßig im engeren Sinn sein, d.h. der gerichtliche Eingriff muss unter Berücksichtigung aller Einzelfallumstände zumutbar sein.[12]

II. In diesem durch Gesetz und Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen beurteilen sich die Fälle der Schulverweigerung, wobei im Wesentlichen zwischen zwei Konstellationen differenziert werden kann.

In der Ausprägung einer klassischen Vernachlässigung treten bei einem Kind erhebliche Schulfehlzeiten auf, wobei die Eltern entweder nicht willens oder tatsächlich nicht in der Lage sind, in eigener Person für die Einhaltung der Schulpflicht Sorge zu tragen, oder einer entsprechenden Verweigerungshaltung des Kindes adäquat entgegenzuwirken.[13]

Davon zu unterscheiden und nachfolgend näher darzustellen ist die originär von den Eltern ausgehende Ablehnung der Schulpflicht, verbunden mit dem Anspruch, diese durch eine Heimbeschulung zu ersetzen.

1. Bereits in einer 2003 ergangenen Entscheidung hat das BVerfG betont, dass die Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags dient, der sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen richtet, sondern auch der Heranbildung von Staatsbürgern, die verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilhaben können.[14] Durch die Einbindung in den Schulbesuch sollen Kontakte mit den in der Gesellschaft vertretenen unterschiedlichsten Auffassungen vermittelt werden, um auf der Grundlage dieser Alltagserfahrungen der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Besondere Bedeutung kommt in diesem Kontext dem für staatliche Schulen geltende Neutralitäts- und Toleranzgebot zu, das einer gezielten Beeinflussung im Sinn einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung entgegensteht.[15] Das elterliche Erziehungsrecht erfährt damit durch die zur Konkretisierung des staatlichen Erziehungsauftrages (Art. 7 Abs. 1 GG) erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung.

Auch in der neueren Rechtsprechung hat das BVerfG betont, dass sich an der Verpflichtung zur Ermöglichung des Schulbesuchs selbst dann keine Änderung ergibt, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls durch Fernhalten vom Schulbesuch nicht festgestellt werden kann und ein mit erfolgreichen Ergebnissen einhergehender Hausunterricht letztlich nicht verhindert, dass sich die Kinder vor einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen verschließen.[16]

Die verfassungsgerichtliche Wertungen, gerichtet auf das Entgegenwirken der Entstehung von P...

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