aa) Die Obhut i.S.d. § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB
Bei Alleinsorge ist der Sorgerechtsinhaber allein zur Geltendmachung der Unterhaltsansprüche befugt, weil dann § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB unanwendbar ist. Bei ansonsten gemeinsamer elterlicher Sorge ist § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB demgegenüber auch anwendbar, wenn das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Unterhaltsschuldner zusteht, solange der andere Elternteil das Kind in seiner Obhut hat. Der Begriff der Obhut ist an § 42 SGB VIII angelehnt und meint allein die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse, wobei entscheidend ist, wer die elementaren Lebensbedürfnisse des Kindes deckt (Gestaltung des Tagesablaufs, Pflege, Verköstigung, Kleidung, Deckung emotionaler Bedürfnisse des Kindes), was im Residenzmodell regelmäßig der hauptbetreuende Elternteil erledigt. Daher kann die Obhut eines Elternteils auch im Falle der Drittbetreuung bei Verwandten oder in einem Internat, längeren Ferienaufenthalten oder einem Auslandsaufenthalt bestehen, wenn ein Elternteil diese Funktionen vornehmlich allein erfüllt. Teilweise sollen in diesem Fall noch regelmäßige faktische Kontakte hinzukommen, um zu einer Obhut zu gelangen. Diese Kontakte müssen allerdings nicht zwingend persönlicher Art und Weise sein und werden vielfach schon deshalb erforderlich sein, um nachzuweisen, dass der Elternteil sich um das Kind kümmert und diesem emotionale Zuwendung zukommen lässt. Nachgewiesene Kontakte sollten daher zusätzliche Indizwirkung haben, aber für sich nicht in jedem Fall obligatorisch sein.
Leben die Eltern trotz Trennung noch in einer Wohnung zusammen, so kommt es ebenfalls auf diese Kriterien an, wobei die Betreuungs- und Arbeitszeiten indiziell sind. Die Darlegungs- und Beweislast für die Obhut trägt derjenige, der sich darauf beruft.
§ 1626 Abs. 2 Satz 2 BGB gilt – wie auch § 1629 Abs. 3 BGB – ebenfalls für die Passivseite, was wiederum bei Abänderungsverfahren relevant ist.
Im Falle eines paritätischen Wechselmodells, in welchem sich ein Betreuungsschwerpunkt im oben genannten Sinne nicht ermitteln lässt, gilt § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht, weshalb entweder einem Elternteil die Befugnis zur Geltendmachung des Kindesunterhalts nach § 1628 BGB übertragen oder ein Ergänzungspfleger bestellt werden muss. Beide Lösungen sind trotz der Rechtsprechung des BGH nach wie vor praktisch mit Unsicherheiten behaftet, zumal der Weg über § 1628 BGB von einem erheblichen Teil der Literatur und Teilen der Rechtsprechung kritisch gesehen bis abgelehnt wird, während ein anderer Teil der Rechtsprechung den Weg über die Ergänzungspflegschaft ablehnt. Es besteht hier dringender Reformbedarf durch den Gesetzgeber.
In der Praxis empfiehlt sich ein Vorgehen eher über die Bestellung eines Ergänzungspflegers. Es kann wegen der gewichtigen Einwände gegen den § 1628 BGB nicht ausgeschlossen werden, dass der Weg durch das zuständige Gericht im Einzelfall versperrt wird. Die Ergänzungspflegschaft sollte in ihrem Wirkungskreis auch das "Ob" der Geltendmachung der Unterhaltsansprüche umfassen. Sie dürfte auch für die Dauer der Betreuung im paritätischen Wechselmodell praktikabler sein, weil es eine Daueraufgabe ist und nicht für jede Einzelauseinandersetzung ein streitigeres Sorgeverfahren nach § 1628 BGB geführt werden müsste, in dem das Kind allein schon durch die nunmehr zwingende Anhörung nach § 159 Abs. 1 FamFG jedes Mal stark mitverwickelt wird. Der Weg über § 1628 BGB wäre auch kostenintensiver, wenn es zu mehreren Verfahren nach § 1628 BGB für die Dauer der Betreuung im paritätischen Wechselmodell kommen würde. Aus Anwaltssicht gilt zudem, dass die Geltendmachung einer solchen Unterhaltsspitze durch einen Elternteil wirtschaftlich nach dem RVG nicht auskömmlich möglich ist, zumal die Geltendmachung wesentlich aufwendiger und der Höhe nach unsicherer ist als im Residenzmodell. Auf Basis einer Vergütungsvereinbarung stellt sich für die Mandantschaft schnell die Frage nach der wirtschaftlichen Sinnhaftigkeit der Anspruchsverfolgung. Hier besteht auch bei der Festsetzung der Gegenstands- und Verfahrenswerte dringend Reformbedarf.
Außergerichtlich ist hier besonders misslich, dass bei noch nicht geklärter Vertretungsbefugnis ein Elternteil, der das Kind nicht nach § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB vertreten kann, auch keine wirksame Handlung nach § 1613 BGB für das Kind begründen kann. Die wirksame Vertretung des Kindes kann auch hier nur durch eine vorangehende Entscheidung nach § 1628 BGB oder die Bestellung eines Ergänzungspflegers erfolgen. Auch hier zeigt sich der Reformbedarf, da dem Kind auf diese Weise nicht unerhebliche Ansprüche verloren gehen können.