Dr. Eva Niebergall-Walter
Dr. Eva Niebergall-Walter
Kommt Ihnen die folgende Situation bekannt vor?
Der gegnerische Kollege beschreibt in einem Schriftsatz an das Familiengericht Ihre Mandantin als Person voller Komplexe, aus schlechter Familie, die ihre nicht verdaute Trennung dadurch kompensiert, dass sie die Kinder ihrem Mann entzieht.
Einzelfall oder Zeichen der Zeit?
Schon Honoré Daumier untertitelte im 19. Jahrhundert eine seiner satirischen Zeichnungen über Juristen mit dem Text "Lassen Sie [gemeint ist der eigene Mandant] ihn [gemeint ist der gegnerische Kollege] ruhig ein wenig schlecht über mich reden – gleich werde ich die ganze Familie Ihres Gegners beleidigen".
Man erinnert sich an das gute, alte Sachlichkeitsgebot und an die Funktion des Anwalts als Organ der Rechtspflege.
Derartige Gedanken werden noch drängender, wenn der eigene Mandant solche Entgleisungen von "seinem" Anwalt wünscht bzw. geradezu fordert.
Es stellt sich das Gefühl ein, man sollte sich an der seit Jahren geführten Diskussion um die Ethik des Rechtsanwalts im Beruf beteiligen.
Überzogene Reaktion oder ein "Wehret den Anfängen"?
Schauen wir uns um, so stellen wir fest, dass auch außerhalb unseres familienrechtlichen Umfeldes mit fragwürdigen Argumenten gerechnet werden muss.
Wenn der rechtspolitische Sprecher einer Bundestagsfraktion Anwälte als Frösche bezeichnet, mag das möglicherweise dem üblichen Umgangston in einer politischen Auseinandersetzung entsprechen. Es ist jedoch nicht akzeptabel, wenn diese Äußerung im Rahmen einer Podiumsdiskussion auf dem Deutschen Anwaltstag 2008 in Berlin in Anwesenheit einer Verfassungsrichterin, des Präsidenten des Deutschen Anwaltvereins und nicht zuletzt einer großen Zahl von Kolleginnen und Kollegen fällt.
Noch schwerwiegender, weil ernst zu nehmender, ist die Einschätzung des Großen Senats in Strafsachen. In einem Beschl. v. 23.4.2007 (GSSt 1/06, in: NJW 2007, 2419), der sich mit strafprozessualen Fragen befasst, also in gänzlich anderem Zusammenhang steht, wird sinngemäß eine Verwilderung anwaltlicher Sitten konstatiert und ausgeführt, dass "die Änderung des anwaltlichen Ethos … ein weiteres Argument für die Änderung der Rechtsprechung" ist.
Gibt es Hoffnung? Nach den Erfahrungen der Verfasserin, ja.
Die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die sich ausdrücklich gegen abwertende, unangebrachte und das sachliche Verhandlungsklima vergiftende Äußerungen und Verhaltensweisen zur Wehr setzen, nimmt zu. Die Phalanx der "Vernünftigen" reicht von Anwältinnen und Anwälten, die schriftsätzlich oder im Gerichtstermin die Gegenseite zur Ordnung rufen, bis zu ganzen Verbänden. So bietet beispielsweise der Ausschuss Junge Anwälte des Kölner Anwaltvereins und der RAK Köln Veranstaltungen an, in denen grundsätzliche Fragen wie das Verhalten vor Gericht, die Reaktion auf das eingangs beschriebene Vorgehen etc. besprochen werden. Die Veranstaltungen haben großen Zulauf, obwohl oder gerade weil (?) in der Kölner Anwaltschaft (noch) ein gutes Klima herrscht.
Halten wir es mit Frau Kollegin Dr. Bradshaw aus Hamburg, die in ihrem Aufsatz anlässlich des Aufsatzwettbewerbs der Rechtsanwaltskammer Frankfurt a.M. zum Thema "Die Ethik des Rechtsanwalts im Beruf" (Beilage zu NJW Heft 5/2006) u.a. empfiehlt: "Rechtsanwälte, die mit der Ausbildung von Referendaren oder jungen Anwälten befasst sind, sollten ihre Position nutzen, um den zukünftigen Kollegen ausreichend das anwaltliche Berufsrecht und die anwaltlichen Wertvorstellungen zu vermitteln. Dies sollte als Gelegenheit genutzt werden, Erfahrungen und Erlerntes weiterzugeben. Je mehr und eher junge Kollegen mit Werten konfrontiert werden, je eher ist eine positive "Bumerang-Wirkung zu erhoffen"."
Wehren wir uns dagegen, dass ein Anwalt, der zu einer sachgerechten Beurteilung anrät, als – wie Herr Kollege Hannappel im Rahmen des angesprochenen Wettbewerbs und Frau Kollegin Kloster-Harz in ZAP 2005, 105 mit Bedauern konstatieren – "wenig ausgefuchst" gilt. Beklagen wir nicht die in vielen Bereichen, so auch in unserem Arbeitsgebiet feststellbare Normenerosion, sondern werden wir aktiv – und wenn es nur mit dem Satz ist: Das tut man nicht.
Dr. Eva Niebergall-Walter, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Kaiserslautern