BGB § 1610 Abs. 2; BAföG § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 § 37 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
1. Zum Ausbildungsunterhalt in den so genannten Abitur-Lehre-Studium-Fällen – hier: anästhesietechnische Assistentin – Medizinstudium (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 8.3.2017 – XII ZB 192/16, NJW 2017, 1478; Senatsurt. v. 17.5.2006 – XII ZR 54/04, FamRZ 2006, 1100 und v. 7.6.1989 – IVb ZR 51/88, BGHZ 107, 376 = FamRZ 1989, 853). (Rn 13)
2. Die Leistung von Ausbildungsunterhalt für ein Studium des Kindes kann einem Elternteil unzumutbar sein, wenn das Kind bei Studienbeginn bereits das 25. Lebensjahr vollendet und den Elternteil nach dem Abitur nicht über seine Ausbildungspläne informiert hat, sodass der Elternteil nicht mehr damit rechnen musste, noch auf Ausbildungsunterhalt in Anspruch genommen zu werden. (Rn 25)
BGH, Beschl. v. 3.5.2017 – XII ZB 415/16 (OLG Frankfurt, AG Büdingen)
1 Aus den Gründen:
[1] I. Das antragstellende Land nimmt den Antragsgegner, dessen Tochter es Vorausleistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) gewährt hat, auf Ausbildungsunterhalt aus übergegangenem Recht in Anspruch.
[2] Die am 26.11.1984 nichtehelich geborene Tochter des Antragsgegners erwarb im Jahre 2004 das Abitur mit einem Notendurchschnitt von 2,3. Bereits zu diesem Zeitpunkt wollte sie das Medizinstudium aufnehmen und bewarb sich zum Wintersemester 2004/2005 – und dann durchgängig bis zum Wintersemester 2010/2011 – im Vergabeverfahren der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) um einen Medizinstudienplatz. Nachdem ihr kein solcher zugewiesen wurde, begann sie im Februar 2005 eine Lehre als anästhesietechnische Assistentin, die sie im Januar 2008 mit der Gesamtnote 1,0 abschloss. Ab Februar 2008 arbeitete sie in diesem erlernten Beruf. Für das Wintersemester 2010/2011 erhielt sie schließlich einen Studienplatz und studiert seitdem Medizin.
[3] Der Antragsteller zahlte der Tochter des Antragsgegners für den Zeitraum Oktober 2011 bis September 2012 Ausbildungsförderung (Vorausleistung) nach dem BAföG in Höhe von monatlich 287,68 EUR. Im September 2011 forderte das Studierendenwerk den Antragsgegner auf, Auskunft über sein Einkommen und Vermögen zu erteilen.
[4] Erst durch diese Aufforderung erhielt der Antragsgegner Kenntnis von der Studienaufnahme seiner Tochter. Er hatte weder mit deren Mutter noch mit ihr jemals zusammengelebt und seine Tochter letztmals getroffen, als sie 16 Jahre alt war. Per Brief hatte er ihr im Jahre 2004 nach dem Abitur – dessen erfolgreiche Ablegung er annahm – mitgeteilt, er gehe vom Abschluss der Schulausbildung aus und davon, keinen weiteren Unterhalt mehr zahlen zu müssen. Sollte dies anders sein, möge sie sich bei ihm melden. Nachdem eine Reaktion hierauf unterblieb, stellte er die Unterhaltszahlungen ein.
[5] Das Amtsgericht hat den auf Zahlung von insgesamt 3.452,16 EUR nebst Zinsen gerichteten Antrag abgewiesen, das Oberlandesgericht hat die hiergegen eingelegte Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller sein Zahlungsbegehren weiter.
[6] II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
[7] 1. Das Oberlandesgericht hat seine Entscheidung wie folgt begründet: (wird ausgeführt)
[10] 2. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
[11] a) Gemäß § 1610 Abs. 2 BGB umfasst der Unterhalt eines Kindes die Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf.
[12] aa) Geschuldet wird danach eine Berufsausbildung, die der Begabung und den Fähigkeiten, dem Leistungswillen und den beachtenswerten Neigungen des Kindes am besten entspricht und sich in den Grenzen der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern hält. Eltern, die ihrem Kind eine solche Berufsausbildung gewährt haben, sind grundsätzlich nicht mehr verpflichtet, Kosten einer weiteren Ausbildung zu tragen. Ausnahmen hiervon bestehen nur unter besonderen Umständen, etwa wenn der Beruf aus gesundheitlichen oder sonstigen, bei Ausbildungsbeginn nicht vorhersehbaren Gründen nicht ausgeübt werden kann. Ferner kommt eine fortdauernde Unterhaltspflicht in Betracht, wenn die weitere Ausbildung zweifelsfrei als eine bloße in engem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang stehende Weiterbildung zu dem bisherigen Ausbildungsweg anzusehen ist und von vornherein angestrebt war oder während der ersten Ausbildung eine besondere, die Weiterbildung erfordernde Begabung deutlich wurde (Senatsbeschl. v. 8.3.2017 – XII ZB 192/16, juris Rn 12 und Senatsurt. v. 17.5.2006 – XII ZR 54/04, FamRZ 2006, 1100, 1101 m.w.N.).
[13] Mit Blick auf das zunehmend geänderte Ausbildungsverhalten der Studienberechtigten kann nach der Rechtsprechung des Senats auch dann ein einheitlicher Ausbildungsgang i.S.d. § 1610 Abs. 2 BGB gegeben sein, wenn ein Kind nach Erlangung der Hochschulreife auf dem herkömmlichen schulischen Weg (Abitur) eine praktische Ausbildung (Lehre) absolviert hat und sich erst danach zu einem Studium entschließt (sog. Abitur-Lehre-Studium-Fälle). Hierfür müssen die einzelnen Ausbildungsabschnitte in engem zeitlichen und sachlichen Zus...