Dr. Martin Menne
Exportweltmeister sind wir seit einigen Jahren nicht mehr. Den Titel haben wir an China weiterreichen müssen. Aber Deutschland nimmt unter den Ländern mit dem größten Außenhandelsbilanzüberschuss nach China und den USA immer noch einen respektablen dritten Platz ein.
Dass zu den Gütern, die wir in alle Welt exportieren, in erster Linie Autos gehören, wird niemanden wundern. Größeres Erstaunen mag dagegen auslösen, dass zu den Exportgütern, die das Qualitätssiegel "Made in Germany" tragen, auch das Produkt "Recht" gehört: Das galt nicht nur in der Vergangenheit, in der das deutsche BGB Ländern wie beispielsweise Griechenland, Japan oder Korea Orientierung für eigene Zivilrechtskodifikationen bot. Sondern das wirkt bis heute fort: Insbesondere China zeigt nach der Öffnung des Landes Interesse am deutschen Recht, weil es durch den hohen Grad seiner Systematisierung eine Rezeption vereinfacht und sich gut als Muster für die Schaffung eigener Gesetze eignet.
Das deutsche Familienrecht steht nicht im Abseits. So wurde etwa im Unterhaltsrecht die Düsseldorfer Tabelle schon früh als barème de Dusseldorf von der französischen Cour de cassation (Cass 1e ch. civile, 26.1.1994, Bull. 1994 I Nr. 30) akzeptiert. Inzwischen wurde die Tabelle an die französischen Bedürfnisse adaptiert und so fortentwickelt, dass auch die verschiedenen Betreuungsmodelle unterhaltsrechtlich berücksichtigt werden können. Auch Polen oder Länder wie Singapur zeigen Interesse am Dusseldorf maintenance table. Das deutsche Gewaltschutzgesetz stieß in Namibia und in Südafrika auf Interesse. Deutsche Anwältinnen und Richterinnen haben die inländische Praxis in Kindesentführungssachen an (u.a.) russische und georgische Richter weitergegeben. Das deutsche Verfahren in Kindschaftssachen, insbesondere die Kindesanhörung und die Vertretung ihrer Interessen durch einen Verfahrensbeistand, hat Singapur dazu veranlasst, wiederholt Expertengruppen nach Berlin zu entsenden. Die guten Erfahrungen mit der Kindesanhörung in Deutschland haben mit dazu beigetragen, dass das Recht des Kindes auf Meinungsäußerung in der neuen Brüssel IIb-VO deutlich gestärkt wurde. Die schweizerischen Verbindungsrichter im Internationalen Haager Richternetzwerk orientieren sich, nachdem die Schweiz sich 2012 für eine Mitwirkung entschlossen hat, an der Praxis der deutschen Verbindungsrichter.
Die Liste der Beispiele ließe sich unschwer fortführen: Denn deutsches Recht ist attraktiv. Es ist kodifiziert, tariert unterschiedliche Interessen gut aus und bietet ausgewogene Regelungen. Die Ergebnisse sind vorhersehbar und werden von kompetenten Richtern und einer leistungsfähigen Anwaltschaft effektiv, unabhängig und kostengünstig um- und durchgesetzt. Dass die internationalen Experten des World Justice Project der deutschen Ziviljustiz im Rule of Law Index 2020 unter 128 untersuchten Jurisdiktionen den vierten Platz zuerkannt haben, stellt eine eindrucksvolle Bestätigung dieses Befundes dar: Deutsches Recht, auch deutsches Familienrecht, ist in der Welt gefragt.
Aber ein Exportgut wird nur solange nachgefragt, wie es den Bedürfnissen der Nutzer gerecht wird. Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, muss das deutsche (Familien- und Familienverfahrens-) Recht daher kontinuierlich an die sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse, an geänderte Lebensrealitäten und neue familiäre Lebensformen und Familienkonstellationen angepasst werden. Und da baut sich in Deutschland derzeit ein Reformstau auf, der sowohl Qualität als auch Zukunftsfähigkeit unseres Rechts zu beeinträchtigen droht: Betroffen sind das Abstammungsrecht, das angesichts neuer reproduktionstechnischer Möglichkeiten zunehmend den Anschluss an die Wirklichkeit verliert; das Sorge- und Umgangsrecht; das Recht nichtverheirateter, betreuender Eltern; die unterhaltsrechtliche Berücksichtigung gewandelter Formen der Kinderbetreuung oder der Elternunterhalt, der durch sozialstaatliche Fürsorgeleistungen weitgehend obsolet zu werden droht – um nur einige familienrechtliche "Baustellen" zu nennen. Es bleibt zu hoffen, dass die notwendigen Schritte nicht so lange dauern wie die Eröffnung eines neuen deutschen Hauptstadtflughafens. Denn sonst wird die Strahlkraft von Law – Made in Germany. In family matters as well früher oder später verblassen.
Autor: Dr. Martin Menne
Richter am Kammergericht Dr. Martin Menne, deutscher Verbindungsrichter im Europäischen Justiziellen Netz für Zivil- und Handelssachen, Berlin
FF, S. 265