Eine echte und für die Praxis bedeutsame Weiterentwicklung gegenüber der Brüssel IIa-VO enthält Kapitel IV Abschnitt 4 der Brüssel IIb-VO "Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen". Mit diesen Vorschriften trägt der europäische Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass inzwischen in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten rechtsgeschäftliche Scheidungen ohne konstituierenden gerichtlichen oder behördlichen Akt möglich sind, und beseitigt damit für die Zukunft die unter der Brüssel IIa-VO bestehende Unsicherheit, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen derartige Ehescheidungen in den anderen Mitgliedstaaten ohne besonderes Verfahren anzuerkennen sind.
Auch für Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes und Ehescheidungen, die durch öffentliche Urkunde oder rechtsgeschäftliche Vereinbarung erfolgen und im Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung haben, ist in Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO nun unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich der Grundsatz der Anerkennung ohne besonderes Verfahren festgeschrieben. Art. 64 Brüssel IIb-VO stellt allerdings klar, dass diese Anerkennung als minimale Förmlichkeit die Errichtung oder Eintragung der betreffenden öffentlichen Urkunde oder Vereinbarung bei der zuständigen Stelle des Ursprungsmitgliedstaates voraussetzt, so dass reine Privatscheidungen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Als weitere Voraussetzung für die Anerkennung ipso jure verlangt Art. 64 Brüssel IIb-VO, dass der Ursprungsmitgliedstaat, in dem die öffentliche Urkunde förmlich errichtet oder eingetragen bzw. die Vereinbarung eingetragen wurde, nach den Regeln des Kapitels II der Brüssel IIb-VO für die gerichtliche Ehescheidung oder Trennung zuständig wäre. Damit versagt die Brüssel IIb-VO rechtsgeschäftlichen Scheidungen, die von den Ehegatten in einem Mitgliedstaat herbeigeführt werden, zu dem aus Sicht des Unionsgesetzgebers keine hinreichende Beziehung besteht, die Anerkennung. Zur Absicherung dieser Voraussetzung muss in dem Formblatt gemäß Anhang VIII der Brüssel IIb-VO für die Bescheinigung über eine öffentliche Urkunde oder eine Vereinbarung über die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes die Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates gemäß Kapitel II Abschnitt 1 der Verordnung von der zuständigen Behörde ausdrücklich bestätigt werden. Auch für Privatscheidungen gibt es also unter Anerkennungsgesichtspunkten keine freie Zuständigkeitsvereinbarung – und damit einhergehend keine freie Rechtswahl. Wer Anerkennungsprobleme vermeiden will, sollte sich bei der Entscheidung für eine außergerichtliche Scheidung in einem bestimmten Mitgliedstaat also nicht nur von Beschleunigungs- oder Kostengesichtspunkten leiten lassen, sondern immer auch einen Blick auf die Zuständigkeitsbestimmungen gemäß Art. 3 ff Brüssel IIb-VO haben.
Nicht anerkennungsfähig ist eine öffentliche Urkunde oder eine Vereinbarung über eine Trennung ohne Auflösung des Ehebandes oder eine Ehescheidung bei Vorliegen eines der in Art. 68 Abs. 1 Brüssel IIb-VO aufgeführten Gründe, die den in Art. 38a), c) und d) Brüssel IIb-VO genannten Gründen für die Versagung der Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen in Ehesachen entsprechen. Dass es eine unmittelbare Entsprechung zum Versagungsgrund gemäß Art. 38b) Brüssel IIb-VO nicht geben kann, erklärt sich aus dem Zustandekommen der Privatscheidung außerhalb eines streitigen gerichtlichen Verfahrens. Ob Minimalanforderungen an eine faire Beteiligung beider Ehegatten gewahrt worden sind, wird daher nur unter dem Gesichtspunkt des "ordre public" gemäß Art. 68 Abs. 1a Brüssel IIb-VO in den Blick genommen werden können. Das Vorliegen oder Nichtvorliegen von Anerkennungsversagungsgründen gemäß Art. 68 Abs. 1 Brüssel IIb-VO kann aufgrund der in Art. 65 Abs. 1 S. 2 Brüssel IIb-VO ausgesprochenen Verweisung entsprechend Art. 30 Abs. 3 bzw. 40 Abs. 1 Brüssel IIb-VO gerichtlich geltend gemacht werden.