Auch wenn die Bezeichnung der Verordnung unverändert geblieben ist, enthält die Brüssel IIb-VO nicht nur Bestimmungen über die Zuständigkeit, die Anerkennung und Vollstreckung von "Entscheidungen in Ehesachen", sondern regelt ausdrücklich auch die Anerkennung und Vollstreckung von öffentlichen Urkunden und Vereinbarungen über Ehescheidungen und Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes.
1. Gerichtliche Entscheidungen
Überschaubar sind die Änderungen, die die Brüssel IIb-VO für die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Ehesachen und die Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen auf diesem Gebiet mit sich bringt.
Zu nennen ist hier zum einen die Neuregelung der nationalen Restzuständigkeit in Art. 6 Brüssel IIb-VO, der die bisherigen Art. 6 und 7 Brüssel IIa-Verordnung übersichtlicher und verständlicher zusammenfasst.
Inhaltlich unverändert geblieben sind die Gründe, die der Anerkennung einer Entscheidung in Ehesachen entgegenstehen und nun in Art. 38 Brüssel IIb-VO zu finden sind. Lediglich terminologisch wird – in Anpassung an andere Änderungen im Rechtsschutzsystem der Verordnung – nicht mehr wie bisher in Art. 22 Brüssel IIa-VO von Gründen für die Nichtanerkennung, sondern von Gründen für die Versagung der Anerkennung gesprochen. Entsprechend sind an die Stelle des bislang in Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO geregelten Antrags auf gerichtliche Entscheidung über die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Entscheidung neu gefasste Rechtsschutzmöglichkeiten getreten. Vorgesehen sind nun zum einen der Antrag auf gerichtliche Feststellung gemäß Art. 30 Abs. 3 Brüssel IIb-VO, dass keiner der in Artikel 38 genannten Gründe für eine Versagung der Anerkennung gegeben ist, und zum anderen der Antrag auf gerichtliche Versagung der Anerkennung gemäß Art. 40 Abs. 1 Brüssel IIb-VO. Beide Verfahren richten sich gemäß den Verweisungen in Art. 30 Abs. 3 bzw. 40 Abs. 1 Brüssel IIb-VO sowie in § 44j IntFamRVG 2022 im Wesentlichen nach den Vorschriften über das Verfahren auf Versagung der Vollstreckung, d.h nach den Art. 59 ff Brüssel IIb-VO in Verbindung mit §§ 44b bis 44e IntFamRVG 2022. Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bleibt es – wie für die bisherigen Verfahren gemäß Art. 21 Abs. 3 Brüssel IIa-VO – bei der Zuständigkeitskonzentration gemäß §§ 10, 12 IntFamRVG.
2. Privatscheidungen
Eine echte und für die Praxis bedeutsame Weiterentwicklung gegenüber der Brüssel IIa-VO enthält Kapitel IV Abschnitt 4 der Brüssel IIb-VO "Öffentliche Urkunden und Vereinbarungen". Mit diesen Vorschriften trägt der europäische Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass inzwischen in einer zunehmenden Zahl von Mitgliedstaaten rechtsgeschäftliche Scheidungen ohne konstituierenden gerichtlichen oder behördlichen Akt möglich sind, und beseitigt damit für die Zukunft die unter der Brüssel IIa-VO bestehende Unsicherheit, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen derartige Ehescheidungen in den anderen Mitgliedstaaten ohne besonderes Verfahren anzuerkennen sind.
Auch für Trennungen ohne Auflösung des Ehebandes und Ehescheidungen, die durch öffentliche Urkunde oder rechtsgeschäftliche Vereinbarung erfolgen und im Ursprungsmitgliedstaat rechtsverbindliche Wirkung haben, ist in Art. 65 Abs. 1 Brüssel IIb-VO nun unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich der Grundsatz der Anerkennung ohne besonderes Verfahren festgeschrieben. Art. 64 Brüssel IIb-VO stellt allerdings klar, dass diese Anerkennung als minimale Förmlichkeit die Errichtung oder Eintragung der betreffenden öffentlichen Urkunde oder Vereinbarung bei der zuständigen Stelle des Ursprungsmitgliedstaates voraussetzt, so dass reine Privatscheidungen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Als weitere Voraussetzung für die Anerkennung ipso jure verlangt Art. 64 Brüssel IIb-VO, dass der Ursprungsmitgliedstaat, in dem die öffentliche Urkunde förmlich errichtet oder eingetragen bzw. die Vereinbarung eingetragen wurde, nach den Regeln des Kapitels II der Brüssel IIb-VO für die gerichtliche Ehescheidung oder Trennung zuständig wäre. Damit versagt die Brüssel IIb-VO rechtsgeschäftlichen Scheidungen, die von den Ehegatten in einem Mitgliedstaat herbeigeführt werden, zu dem aus Sicht des Unionsgesetzgebers keine hinreichende Beziehung besteht, die Anerkennung. Zur Absicherung dieser Voraussetzung muss in dem Formblatt gemäß Anhang VIII der Brüssel IIb-VO für die Bescheinigung über eine öffentliche Urkunde oder eine Vereinbarung über die Ehescheidung oder die Trennung ohne Auflösung des Ehebandes die Zuständigkeit des Ursprungsmitgliedstaates gemäß Kapitel II Abschnitt 1 der Verordnung von der zuständigen Behörde ausdrücklich bestätigt werden. Auch für Privatscheidungen gibt es also unter Anerkennungsgesichtspunkten keine freie Zuständigkeitsvereinbarung – und damit einhergehend keine freie Rechtswahl. Wer Anerkennungsprobleme vermeiden will, sollte sich bei der Entscheidung für eine außergerichtliche Scheidung in einem bestimmten Mitgliedstaat also nicht nur von Beschleu...