Schließlich soll in diesem Vortrag die maßgebliche Relevanz der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Rahmen der Verwirkungstatbestände des § 1579 Nr. 1–8 BGB näher beleuchtet werden.
1. Die Darlegung und die Prüfung von Verwirkungstatbeständen zum Ehegattenunterhalt nach (§ 1361 Abs. 3 i.V.m.) § 1579 BGB bereiten einem Teil der Familiengerichte, aber auch den vor diesen Gerichten auftretenden Fachanwälte für Familienrecht große Schwierigkeiten. Häufig ist zu beobachten, dass Anwälte und Richter in ihrer Argumentation direkt auf einen der Verwirkungstatbestände des § 1579 Nr. 1–8 BGB "springen" und weitere Prüfungspunkte für den Fall der Annahme von dessen Voraussetzungen nicht für erforderlich halten. Diese Vorgehensweise greift jedoch ganz deutlich zu kurz. Vielmehr ist folgender grundsätzlicher Aufbau in der anwaltlichen Ermittlung und Darlegung sowie in der gerichtlichen Prüfung geboten:
a) Erster Schritt: Ermittlung von Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit zum Ehegattenunterhalt ohne Rücksicht auf die Verwirkung;
b) Zweiter Schritt: Materielle Voraussetzungen sowie Darlegungs- und Beweislast für das Feststellen eines der normierten Verwirkungstatbestände;
c) Dritter Schritt: Gesamtabwägung der Billigkeit des Ehegattenunterhalts unter Berücksichtigung der Darlegungen der Beteiligten und Feststellungen des Familiengerichts zu a) und b).
2. Dies führt im Einzelnen zu folgenden Anforderungen:
Als Verwirkungsgründe kommen beim Ehegattenunterhalt ganz überwiegend ein schwerwiegendes, eindeutig bei dem Unterhaltsgläubiger liegendes Fehlverhalten nach den §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 7 BGB und das Bestehen einer verfestigten Lebensgemeinschaft nach §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 2 BGB in Betracht.
a) Zunächst hat das Familiengericht im Rahmen des im Unterhaltsverfahren geltenden Beibringungsgrundsatzes umfassend festzustellen, welcher Ehegattenunterhaltsbedarf und welche Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners sich ausgehend von dem Vortrag und den Belegen der Beteiligten grundsätzlich ergibt. Die Höhe eines etwaigen Ehegattenunterhaltsanspruchs sowie die Bedarfe gemeinsamer Kinder sind nämlich ersichtlich wichtige Faktoren für die spätere Gesamtabwägung, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein an sich bestehender Ehegattenunterhaltsanspruch als unbillig und verwirkt anzusehen ist. Insoweit sollten auch Fachanwälte für Familienrecht sich in ihrem Vortrag nicht ausschließlich auf die für den konkreten Verwirkungstatbestand maßgeblichen Tatsachen "stürzen", sondern ihr Augenmerk ebenso sorgfältig wie in Verfahren ohne Verwirkungsproblematik auf die sorgsame Erhebung und Darlegung der tatsächlichen Grundlagen für Unterhaltsbedarf und Leistungsfähigkeit legen.
b) Erst danach kann das Familiengericht auf Grundlage des anwaltlichen Vortrags der Beteiligten im Einzelnen prüfen, ob sich das Vorliegen eines der gesetzlichen Verwirkungstatbestände feststellen lässt.
aa) Eine den Einwand der Verwirkung begründende verfestigte neue Lebensgemeinschaft gemäß den §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 2 BGB, die quasi an die Stelle der (nach-)ehelichen Solidarität tritt, wird nach ständiger Rechtsprechung ohne Hinzutreten besonderer Umstände frühestens nach einer Verfestigung über einen Zeitraum von rund zwei bis drei Jahren angenommen. Nach den zutage getretenen Umständen des Einzelfalles kann ausnahmsweise vor einer Dauer von zwei bis drei Jahren von einer Verfestigung auszugehen sein. In Betracht kommt dies etwa bei einer besonders intensiven persönlichen oder wirtschaftlichen Verflechtung. Hierzu bedarf entsprechenden konkreten Vortrags des primär darlegungsbelasteten Unterhaltsschuldners. Da die Umstände der möglichen neuen verfestigten Lebensgemeinschaft sich allerdings in der Wahrnehmungssphäre des Unterhaltsgläubigers abspielen, dürfen die Anforderungen an den primären Vortrag des Unterhaltsschuldners nicht überspannt werden. Mehr als konkrete Indizien, insbesondere für das andauernde gemeinsame Auftreten und Erscheinungsbild als Paar in der Öffentlichkeit, wird der Unterhaltsschuldner aus seiner Wahrnehmungssphäre in aller Regel nicht vortragen können. Daher kann dies nach dem o.g. Zeitraum für die Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft genügen. Will der Unterhaltsgläubiger dem entgegentreten, hat er im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast konkrete Tatsachen vorzutragen, die der Annahme einer verfestigten Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner entgegenstehen.
bb) Hinsichtlich des Verwirkungseinwandes des offensichtlich schwerwiegenden, eindeutig bei dem Berechtigten liegenden Fehlverhaltens gegenüber dem Verpflichteten, in der Praxis zumeist des "einseitigen Ausbrechens aus einer intakten Ehe" – bzw. des jedenfalls ganz überwiegend auf Seiten des Unterhaltsgläubigers liegenden Verursachens des Scheiterns der Ehe – i.S.d. §§ 1361 Abs. 3, 1579 Nr. 7 BGB, ist grundsätzlich der Unterhaltsschuldner in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet. Das gilt grundsätzlich auch für sogenannte negative Tatsachen, also das Ni...