BGB § 1666 § 1666a
Leitsatz
1. Eine die Trennung eines Kindes von seiner Familie rechtfertigende Gefährdung des Kindeswohls liegt erst dann vor, wenn eine gegenwärtige Gefahr in einem solchen Maße vorhanden ist, dass sich bei weiterer Entwicklung ohne Intervention eine erhebliche Schädigung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt.
2. Die Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil und die dadurch bei dem Kind hervorgerufene Verweigerungshaltung gegenüber dem anderen Elternteil reicht für sich genommen regelmäßig nicht aus, um eine Unterbringung des Kindes bei Dritten zu veranlassen.
3. Der Wille des Kindes ist zu berücksichtigen, soweit das mit seinem Wohl vereinbar ist. Die Nichtberücksichtigung kann dann gerechtfertigt sein, wenn die Äußerungen des Kindes dessen wirkliche Bindungsverhältnisse – etwa aufgrund Manipulation eines Elternteils – nicht zutreffend bezeichnen, oder wenn dessen Befolgung mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist und zu einer Kindeswohlgefährdung führen würde (Anschluss an BVerfG FamRZ 2024, 278, Rn 24; BVerfG FamRZ 2021, 1201, Rn 37).
OLG Frankfurt/M., Beschl. v. 3.4.2024 – 7 UF 46/23 (AG Bad Hersfeld)
1 Aus den Gründen
Gründe: I. [1] In dem vorliegenden Beschwerdeverfahren sind Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB für das am … 2014 geborene Kind A. zu überprüfen.
[2] A. ist aus der nichtehelichen Beziehung ihrer Eltern hervorgegangen, die im Mai 2020 endgültig endete. Aufgrund einer gemeinsamen Sorgeerklärung waren die Eltern bislang gemeinsam sorgeberechtigt. A. lebte bisher durchgehend bei ihrer Mutter.
[3] Die Kindesmutter ist von Beruf … Als solche arbeitete sie zeitweise in der JVA … . Aus ihrer 2012 geschiedenen Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, nämlich der am … 2001 geborene Sohn … und die am … 2003 geborene Tochter … Der Kindesvater ist … und arbeitet als Projektleiter. Die Eltern beschreiben ihre frühere Beziehung als "On-Off-Beziehung", in der sie längere Zeit eine Wochenendbeziehung mit getrennten Wohnungen geführt haben. Es kam immer wieder zu zwischenzeitlichen Trennungen und Versöhnungen, bis sich im Mai 2020 die endgültige Trennung ereignete.
[4] Die gescheiterte Paarbeziehung der Eltern ist hochkonflikthaft. Seit der endgültigen Trennung haben die Eltern bereits eine Vielzahl von familiengerichtlichen Verfahren betreffend das Sorgerecht und den Umgang geführt. Dabei überziehen sich die Eltern bis heute mit erheblichen Vorwürfen. Der Vater beanstandete unter anderem, dass A. nicht gut von ihrer Mutter versorgt werde. Die Kindesmutter bezeichnete den Kindesvater als Psychopathen, dem es alleine darauf ankomme, sie zu demütigen. Er programmiere A. und wolle Kontrolle ausüben.
[5] Im Verfahren 60 F 479/20 UG des Amtsgerichts Bad Hersfeld trafen die Beteiligten am 15.9.2020 eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung, in der sie festlegten, dass der Kindesvater A. unter anderem an jedem zweiten Wochenende zu sich nehmen sollte. Dieser Umgang wurde in der Folgezeit praktiziert.
[6] In den Herbstferien 2021 unternahm der Kindesvater mit A. und seiner Lebensgefährtin eine Reise in das Allgäu. Wegen einer defekten Sicherheitsvorrichtung fiel A. dort am 17.10.2021 vom Trampolin und brach sich den linken Oberarm. Der Kindesvater suchte mit A. ein Krankenhaus auf, wo die Verletzung diagnostiziert und behandelt wurde.
[7] Am 15.11.2021 beantragte der Kindesvater beim Amtsgericht Bad Hersfeld unter dem Aktenzeichen 63 F 740/21 UG die Abänderung der Umgangsvereinbarung vom 15.9.2020. Er strebte eine Ausweitung des Umgangs an. Die Kindesmutter trat dem Abänderungsantrag entgegen und berief sich unter anderem auf den Unfall vom 17.10.2021, bei dem der Kindesvater seine Aufsichtspflicht verletzt und sich auch im Übrigen "unmöglich" verhalten habe, indem er die wegen des Sturzes angezeigt gewesene Schädeluntersuchung des Kindes nicht veranlasst habe. Dieser Vorfall habe Spuren bei A. hinterlassen. Der Kindesvater sei nicht im Geringsten empathisch für die Belange des Kindes, er sehe nur sich selbst. Dass A. mit einem solchen Vater nicht klarkommen könne, sei offensichtlich.
[8] A. besuchte ihren Vater letztmals am 28.11.2021. Danach weigerte sich A., zu ihrem Vater zu gehen. Infolgedessen beantragte die Kindesmutter die Aussetzung des Vater-Kind-Umgangs.
[9] Am 22.12.2021 erstattete die Kindesmutter bei der Kriminalpolizei in … telefonisch eine Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen sexuellen Missbrauchs von A. Die Mutter und das Kind erschienen dort am 23.12.2021 und wurden polizeilich vernommen. Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren wird bei der Staatsanwaltschaft … geführt und ist bis heute nicht abgeschlossen. Die polizeiliche Vernehmung von A. vom 23.12.2021 wurde unter Zuhilfenahme von Videotechnik durchgeführt und ist u.a. wie folgt verschriftlicht worden:
[10] "Nach (…) Belehrung gab A. an, durch ihren Vater nach dem Duschen im Scheidenbereich eingecremt worden zu sein. (…) Das Eincremen durch den Vater sei ihr unangenehm gewesen, sie hätte jedoch zunächst aufg...