Leitsatz (amtlich)
1. Die Beeinflussung des Kindes durch einen Elternteil und die dadurch bei dem Kind hervorgerufene Umgangsverweigerungshaltung gegenüber dem anderen Elternteil reicht für sich genommen regelmäßig nicht aus, um eine Fremdunterbringung zu veranlassen.
2. Eine unberechtigte Umgangsverweigerung und die dem zugrunde liegende fehlende Bindungsintoleranz beim Obhutselternteil kann allein nicht dazu führen, dass eine Kindeswohlgefährdung angenommen wird.
3. Eine Maßnahme, mit der ein Kind über eine Fremdunterbringung dazu gebracht werden soll, gegen seinen Willen zu dem Elternteil zu wechseln, mit dem es aktuell jeden Umgang ablehnt, kann nicht auf §§ 1666, 1666a BGB gestützt werden, weil diese Maßnahme in der Regel weder geeignet noch verhältnismäßig im engeren Sinne ist.
4. Die Unterbringung in einer stationären Einrichtung zum Zweck des Beziehungsaufbaus zum aktuell abgelehnten Vater zur bisher betreuenden Mutter stellt einen nicht zu begründenden Eingriff in die grundgesetzlich verbürgten Persönlichkeitsrechte des Kindes dar. Das gilt vor allem dann, wenn das Kind im Haushalt der Mutter dem Grunde nach gut versorgt war und sich keine Aspekte ergeben, die aus anderem Grund eine Fremdunterbringung rechtfertigen würden. Unter solchen Umständen kann der entgegenstehende Wille eines 9 Jahre alten Mädchens nicht ohne weiteren Anlass übergangen werden.
Tenor
Auf die Beschwerden der Kindeseltern wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Hersfeld vom 12.4.2023 aufgehoben.
Gerichtskosten werden in beiden Instanzen nicht erhoben. Ihre außergerichtlichen Kosten haben die Beteiligten jeweils selbst zu tragen.
Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. In dem vorliegenden Beschwerdeverfahren sind Maßnahmen des Familiengerichts nach §§ 1666, 1666a BGB für das am 9.9.2014 geborene Kind K., geb. ... 2014, zu überprüfen.
K. ist aus der nichtehelichen Beziehung ihrer Eltern hervorgegangen, die im Mai 2020 endgültig endete. Aufgrund einer gemeinsamen Sorgeerklärung waren die Eltern bislang gemeinsam sorgeberechtigt. K. lebte bisher durchgehend bei ihrer Mutter.
Die Kindesmutter ist von Beruf Krankenschwester. Als solche arbeitete sie zeitweise in der JVA X. Aus ihrer 2012 geschiedenen Ehe waren zwei Kinder hervorgegangen, nämlich der am ... 2001 geborene Sohn B. und die am ... 2003 geborene Tochter C. Der Kindesvater ist Diplom-Ingenieur und arbeitet als Projektleiter. Die Eltern beschreiben ihre frühere Beziehung als "On-Off-Beziehung", in der sie längere Zeit eine Wochenendbeziehung mit getrennten Wohnungen geführt haben. Es kam immer wieder zu zwischenzeitlichen Trennungen und Versöhnungen, bis sich im Mai 2020 die endgültige Trennung ereignete.
Die gescheiterte Paarbeziehung der Eltern ist hochkonflikthaft. Seit der endgültigen Trennung haben die Eltern bereits eine Vielzahl von familiengerichtlichen Verfahren betreffend das Sorgerecht und den Umgang geführt. Dabei überziehen sich die Eltern bis heute mit erheblichen Vorwürfen. Der Vater beanstandete unter anderem, dass K. nicht gut von ihrer Mutter versorgt werde. Die Kindesmutter bezeichnete den Kindesvater als Psychopathen, dem es alleine darauf ankomme, sie zu demütigen. Er programmiere K. und wolle Kontrolle ausüben.
Im Verfahren 60 F 479/20 UG des Amtsgerichts Bad Hersfeld trafen die Beteiligten am 15.9.2020 eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsvereinbarung, in der sie festlegten, dass der Kindesvater K. unter anderem an jedem zweiten Wochenende zu sich nehmen sollte. Dieser Umgang wurde in der Folgezeit praktiziert.
In den Herbstferien 2021 unternahm der Kindesvater mit K. und seiner Lebensgefährtin eine Reise in das Allgäu. Wegen einer defekten Sicherheitsvorrichtung fiel K. dort am 17.10.2021 vom Trampolin und brach sich den linken Oberarm. Der Kindesvater suchte mit K. ein Krankenhaus auf, wo die Verletzung diagnostiziert und behandelt wurde.
Am 15.11.2021 beantragte der Kindesvater beim Amtsgericht Bad Hersfeld unter dem Aktenzeichen 63 F 740/21 UG die Abänderung der Umgangsvereinbarung vom 15.9.2020. Er strebte eine Ausweitung des Umgangs an. Die Kindesmutter trat dem Abänderungsantrag entgegen und berief sich unter anderem auf den Unfall vom 17.10.2021, bei dem der Kindesvater seine Aufsichtspflicht verletzt und sich auch im Übrigen "unmöglich" verhalten habe, indem er die wegen des Sturzes angezeigt gewesene Schädeluntersuchung des Kindes nicht veranlasst habe. Dieser Vorfall habe Spuren bei K. hinterlassen. Der Kindesvater sei nicht im geringsten empathisch für die Belange des Kindes, er sehe nur sich selbst. Dass K. mit einem solchen Vater nicht klarkommen könne, sei offensichtlich.
K. besuchte ihren Vater letztmals am 28.11.2021. Danach weigerte sich K., zu ihrem Vater zu gehen. Infolgedessen beantragte die Kindesmutter die Aussetzung des Vater-Kind-Umgangs.
Am 22.12.2021 erstattete die Kindesmutter bei der Kriminalpolizei in Bad Hersfeld telefonisch eine Strafanzeige gegen den Kindesvater wegen sex...