Interview mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesministerin der Justiz
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
FF/Schnitzler: Beim Deutschen Anwaltstag in Aachen haben Sie Mitte Mai 2010 selbst den Gesetzentwurf zur Verzögerungsrüge bei langer Verfahrensdauer angesprochen. Damit soll den Richtern Gelegenheit gegeben werden, die Verfahrensgestaltung auf hinreichende Beschleunigung hin zu überprüfen. Wenn dies nicht helfen sollte, ist geplant, dass dann auch Schadensersatz beim zuständigen OLG eingeklagt werden kann. Wie Sie wissen, hat der DAV die Möglichkeiten des neuen Gesetzentwurfs befürwortet. Warum ist der Vorschlag der Untätigkeitsbeschwerde für Sie keine Option?
Leutheusser-Schnarrenberger: Grundgesetz und Europäische Menschenrechtskonvention versprechen Rechtsschutz in angemessener Zeit. Viele deutsche Gerichte lösen dieses Versprechen schon heute ein. Es gibt aber immer wieder Prozesse, die zu lange dauern. Bekannt sind Extremfälle, für die Deutschland vom EGMR verurteilt wurde, etwa ein 29 Jahre dauerndes Amtshaftungsverfahren. Auffallend ist, dass es auch bei den Durchschnittswerten erhebliche Abweichungen zwischen den Gerichtsbarkeiten und den Bundesländern gibt. Natürlich ist nicht jede überdurchschnittliche Verfahrensdauer automatisch unangemessen. Entscheidend ist immer der Einzelfall; darum sieht mein Entwurf auch keine starren Fristen vor. Überlange Prozesse sind eine große Belastung, finanziell und persönlich. Mein Ziel ist, Lücken im Rechtsschutz zu schließen. Die Reform darf nicht vom Regen in die Traufe führen. Der Rechtsschutz gegen überlange Verfahren darf gerade nicht eine Mehrbelastung sein, die unterm Strich mehr schadet als nützt. Diese Gefahr sehen Kritiker bei einer reinen Untätigkeitsbeschwerde. Mein Vorschlag kombiniert Elemente der Prävention und der Kompensation. Ich möchte bei unangemessener Verfahrensdauer eine Entschädigung für nachgewiesene materielle Schäden und einen Ersatz für immaterielle Nachteile. Mein Entwurf bedeutet kein „Dulde und Liquidiere“. Die Betroffenen müssen immer erst im Ausgangsverfahren die Verzögerung rügen. Erst wenn diese Vorwarnung ungehört bleibt, kann die Entschädigung verlangt werden.
FF/Schnitzler: Nach dem Urteil des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs ist die Bundesregierung gefordert, die Frage der Rechte lediger Väter zu stärken. Wie weit sind die Vorarbeiten getroffen? In dieser schwierigen Frage geht es ja darum, einen Auftrag der europäischen Ebene zu erfüllen. Gleichzeitig wird damit auch ein Urteil des BVerfG aus dem Jahre 2003 korrigiert.
Leutheusser-Schnarrenberger: Ich werde ein Gesetz vorschlagen, das die Anliegen lediger Väter deutlich stärker als bisher berücksichtigt. Heute hat die Mutter eine echte Vetoposition. Der ledige Vater kann die gemeinsame Sorge nur mit ihrer Zustimmung bekommen. Das BVerfG war mit diesem Regelungskonzept grundsätzlich einverstanden, nicht aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Darum werden wir das Sorgerecht für ledige Väter neu regeln. Das Thema eignet sich nicht für einen Schnellschuss. An der Neukonzeption wird in meinem Ministerium mit Hochdruck gearbeitet. Natürlich sind die Überlegungen inzwischen sehr viel weiter als im letzten Dezember nach der EGMR-Entscheidung.
FF/Schnitzler: Die alte Koalition aus CDU/CSU und FDP hatte 1998 mit der Kindschaftsrechtsreform auch nicht verheirateten Eltern die Möglichkeit eröffnet, das Sorgerecht gemeinsam ausüben zu können. Allerdings war dieses Recht an eine gemeinsame Erklärung der Partner der nichtehelichen Lebensgemeinschaft gebunden. Wenn die Mutter nicht wollte, hatte der Vater schlechte Karten. Wollen Sie eine umfassende neue Regelung herbeiführen, die sich auf die §§ 1672, 1678, 1680 Abs. 2–3, 1681 BGB erstreckt oder ist nur eine Nachbesserung des § 1626a BGB geplant?
Leutheusser-Schnarrenberger: Vor zwölf Jahren war es ein großer Schritt, unverheirateten Eltern überhaupt die Möglichkeit der gemeinsamen Sorge einzuräumen. Jetzt geht es darum, ledigen Vätern auch ohne Zustimmung der Mutter einen Weg zum gemeinsamen Sorgerecht zu ebnen. Die Bandbreite denkbarer Regelungen ist groß. Das Thema ist sehr kontrovers und die gegensätzlichen Interessenlagen von Müttern und Vätern sind wohlbekannt. In der Sache geht es nicht primär um die Interessen von Müttern und Vätern, sondern um das Wohl der Kinder. Vor Festlegung auf ein bestimmtes Regelungskonzept müssen wir daher sehr genau überlegen, welches Modell im Interesse des Kindeswohls die größte Überzeugungskraft hat, und gleichzeitig im parlamentarischen Raum sondieren, welche Lösung politisch mehrheitsfähig ist. Einzelheiten der geplanten Neuregelung kann ich angesichts der notwendigen Abstimmung noch nicht erläutern.
FF/Schnitzler: Geplant ist im Rahmen der erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder, alle ehelichen und nichtehelichen Kinder im gesetzlichen Erbrecht gleichzustellen, nach dem Referentenentwurf geht es wohl zunächst um die Besserstellung der vor dem 1.7.1949 geborenen ni...