Das Rechtsmittelverfahren in Familiensachen nach dem neuen Recht soll, um die Neuerungen am praktischen Beispiel zu zeigen, auf der Grundlage eines Beschlusses erläutert werden, der eine Verurteilung zu Kindes- und Ehegattenunterhalt zum Gegenstand hat. Aussehen könnte der Beschluss wie folgt:
a) Büromäßige Behandlung der Beschlüsse nach Eingang im Büro der Verfahrensbevollmächtigten: Nach dem Rechtszustand vor dem 1.9.2009 war die routinemäßige Verfahrensweise nach Eingang einer gerichtlichen Entscheidung wie folgt zu gestalten: Die Entscheidung wird mit einem Eingangsstempel versehen, das Empfangsbekenntnis wird unterzeichnet, die Fristen für Einlegung und Begründung des Rechtsmittels in das Fristenbuch eingetragen. Nunmehr ist der Lauf der Begründungsfrist allerdings von der rechtlichen Abgrenzung des Sachgegenstands im Erkenntnisverfahren abhängig; es ist abzugrenzen, ob es sich um eine Familiensache oder eine Familienstreitsache handelt. Da es, wie die nachfolgende Abbildung zeigt, bedeutsame Überschneidungen gibt, stellt sich die Frage, wer Fristenführer sein darf.
Darf der Rechtsanwalt die Fristenführung trotz der für die Fristberechnung erforderlichen Kenntnis des materiellen Rechts seinen Büroangestellten deshalb überlassen, weil er davon ausgeht (§ 17 Abs. 2 FamFG), dass der Beschluss mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen sein muss? Der Wortlaut des § 17 Abs. 2 FamFG, nach dem ein die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand begründendes unverschuldetes Versäumen der Frist vermutet wird, wenn eine Rechtsmittelbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist, könnte die Idee aufkeimen lassen, es sei möglich, die Fristberechnung der "Bürovorsteherin" zu überlassen. Allerdings gilt die im Allgemeinen Teil des FamFG enthaltene Bestimmung des § 17 Abs. 2 FamFG für Ehe- und Familienstreitsachen nicht. Die Wiedereinsetzung richtet sich in diesen Fällen vielmehr nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung. Dort steht jedoch nichts davon, dass es an einem Verschulden bei fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung fehlt. Zudem ist selbst bei der Anwendung der Regelung über die Wiedereinsetzung nach § 17 FamFG fraglich, ob die Vermutung fehlenden Verschuldens, die eine fehlende oder unrichtige Rechtsmittelbelehrung auslöst, auch für Rechtsanwälte gilt: Die Gesetzesbegründung geht unter Berufung auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes davon aus, dass ein Anwalt eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung erkennen muss, er sich also nicht auf fehlendes Verschulden berufen kann. Für die Praxis folgt daraus: Der Rechtsanwalt muss in Familien- und Familienstreitsachen selbst prüfen, ob die Rechtsmittel- und die Rechtsmittelbegründungsfrist ordnungsgemäß ermittelt worden sind, will er sich nicht Haftungsansprüchen aussetzen.
Ein weiteres Beispiel dafür, dass die Ermittlung des zulässigen Rechtsmittels durchaus kompliziert ist, ist die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde im Fall der Verwerfung der Beschwerde als unzulässig in Ehe- und Familiensachen. Sie ist nicht bei den Regelungen über die Rechtsbeschwerde zu finden. Sie verbirgt sich vielmehr im Verweis des § 117 Abs. 1 Satz 3 letzter Halbsatz FamFG auf § 522 Abs. 1 Satz 2, 4 ZPO.
b) Zurück zum Beispiel: Muss sich auch der Beteiligte, der in der Hauptsache obsiegt hat, die Rechtsbehelfsfrist notieren? Dazu müsste die Kostenentscheidung selbstständig anfechtbar sein. Grundsätzlich gelten in Ehe- und Familienstreitsachen statt der Kostenvorschriften des Allgemeinen Teils des FamFG die Allgemeinen Vorschriften der ZPO, darunter auch die Vorschriften über die Prozesskosten. In Unterhaltssachen besteht aber eine von diesem Grundsatz abweichende eigenständige Regelung: Nach § 243 Satz 1 FamFG ist über die Kostenverteilung abweichend von den Vorschriften der ZPO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Damit dürfte in Unterhaltssachen auch die Vorschrift des § 99 Abs. 1 ZPO, die eine isolierte Anfechtung der Kostenentscheidung ausschließt, unanwendbar sein. Demnach ist im Beispielsfall – wohl auch – die Kostenentscheidung isoliert anfechtbar, soweit mit ihr der Antragstellerin auch die Kosten des Verfahrens auferlegt worden sind, soweit sie obsiegt hat.
c) Was ist am Tag des Fristablaufs für die Beschwerde zu tun? Beschwerdeberechtigt ist in unserem Beispiel auf Antragstellerseite die Antragstellerin wegen der Kostenentscheidung, soweit ihr Kosten auch im Umfang des Obsiegens auferlegt worden sind; ferner im Hinblick auf das teilweise Unterliegen in der Hauptsache (380 EUR statt 400 EUR Ehegattenunterhalt) und wegen der Kosten. Der Antragsgegner ist in der Hauptsache beschwert, da er verurteilt worden ist, Unterhalt zu zahlen. Die Beschwerden der Antragstellerin und des Antragsgegners sind jeweils beim iudex a quo einzulegen. Nach Eingang der Beschwerde tritt der iudex a quo grundsätzlich in die Prüfung ein, ob der Beschwerde abzuhelfen ist. Von diesem Grundsatz abweichend findet gegen Endentscheidungen in Familiensachen allerdings kein Abhil...