Jochem Schausten
Das BVerfG hat am 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 3/09, 4/09) entschieden, dass die Methoden zur Ermittlung der Bedarfssätze im SGB II nicht verfassungskonform sind – im Hinblick auf die Bedarfssätze für Kinder wurde insbesondere kritisiert, dass das SGB II die Kinder als "kleine Erwachsene" ansieht – und deren Bedarf als Prozentsatz des Regelbedarfs eines Erwachsenen bestimmt. In der Folge dieser eigentlich das Sozialrecht betreffenden Entscheidung kommt aber auch die Frage auf: Welche Auswirkungen hat die Entscheidung auf das Unterhaltsrecht, hier vor allem auf den Mindestunterhalt minderjähriger Kinder gem. § 1612a BGB?
Mit der Unterhaltsreform 2008 hat der Gesetzgeber sich klar zu einem das Existenzminimum deckenden Mindestunterhalt bekannt. Deshalb hat der Gesetzgeber den Mindestunterhalt im § 1612a BGB an den eigentlich das sächliche Existenzminimum des Kindes sichernden Freibetrag in § 32 Abs. 6 EStG gekoppelt – eine Konstruktion, die grundsätzlich Zustimmung verdient. Die Höhe des sächlichen Freibetrages im EStG orientierte sich bei der Einführung des § 1612a BGB an dem im Existenzminimumbericht der Bundesregierung ermittelten Mindestbedarf eines Kindes – insofern war die unmittelbare Legitimation gegeben.
Doch inzwischen muss die Frage erlaubt sein: Spiegelt der sächliche Kinderfreibetrag im EStG tatsächlich noch das Existenzminimum eines Kindes wieder? Denn der Gesetzgeber hat diesen Freibetrag Anfang 2010 erheblich erhöht – und zwar mit der Begründung, Familien entlasten und fördern zu wollen. Es waren also familien- und konjunkturpolitische Gründe, die zu der Erhöhung des Freibetrages geführt haben – und damit über die Verknüpfung im § 1612a BGB zu einer Erhöhung der Bedarfssätze im Kindesunterhalt von mehr als 13 %. Dies führt dazu, dass die von dem Gesetzgeber beabsichtigte Förderung und Entlastung der – intakten – Familien über die höhere Unterhaltsverpflichtung zu einer einseitigen Belastung der Barunterhaltspflichtigen führt, die zudem auch steuerlich nur unzulänglich kompensiert wird.
Außerdem: Die besondere Bedeutung des Mindestunterhalts in § 1612a BGB liegt in der vereinfachten Durchsetzung – wenn nur der Mindestunterhalt geltend gemacht wird, dann muss der Unterhaltspflichtige ggf. nachweisen, dass er selbst diesen nicht zahlen kann. Diese Umkehr der Darlegungs- und Beweislast ist aber verfassungsrechtlich nur gerechtfertigt, wenn der Mindestunterhalt nur das Existenzminimum widerspiegelt – und nicht über die vom Ansatz her richtige Verknüpfung mit dem Steuerrecht familien- und konjunkturpolitische Zielsetzungen diesen Betrag über das Existenzminimum aufblähen.
Sollte sich nun also in der Folge der Entscheidung des BVerfG herausstellen, dass das Existenzminimum eines Kindes geringer ist als der sächliche Freibetrag im EStG, wird sich der Gesetzgeber erneut die Frage stellen müssen, ob die Anknüpfung des Mindestunterhalts an das Steuerrecht legitim ist. Am sinnvollsten wäre es sicher, wenn der sächliche Kinderfreibetrag im Steuerrecht auch nur das Existenzminimum widerspiegeln würde – dies würde nicht nur der Normenklarheit sowohl des Steuer- als auch des Unterhaltsrechts, sondern auch der – bleibenden – Harmonisierung beider Rechtsgebiete dienen. Und der Politik wäre damit auch gedient: Sie könnte ganz klar machen, welcher Anteil an den Kinderfreibeträgen der Freistellung des Existenzminimums dient – und welcher Anteil aus familienpolitischen Erwägungen darüber hinaus gewährt wird!
Sollte sich in Folge der Entscheidung des BVerfG allerdings herausstellen, dass das Existenzminimum eines Kindes höher ist als der sächliche Freibetrag, wäre dieser entsprechend anzupassen und wären sämtliche Legitimationsfragen hinfällig – was allerdings nach der Erhöhung zum Jahresanfang erneut einen Aufschrei der Barunterhaltspflichtigen nach sich ziehen dürfte.