I. Das Problem
Wie wirkt es sich auf die elterlichen Kindesunterhaltspflichten aus, wenn Eltern, die getrennt leben, sich die Betreuung und Versorgung des Kindes paritätisch teilen? Ein einfacher Fall soll dies verdeutlichten:
M und V trennen sich, sie vereinbaren, sich weiterhin gemeinsam um das 8-jährige Kind K zu kümmern. Sie suchen sich nicht weit voneinander entfernt liegende Wohnungen, so dass das Kind weiterhin die Grundschule in der Nähe besuchen kann. K verbringt in etwa die gleiche Zeit mit M und mit V, eine Woche lang geht er nach dem Hort zu M nach Hause, in der nächsten Woche zu V. Beide Eltern können durch Teilzeit ihre Arbeitszeit so gestalten, dass sie in ihrer jeweiligen "Kinderwoche" nachmittags genügend Zeit für K haben, um Hausaufgaben zu betreuen, Arztbesuche und Transporte zum Sport und zur Musikschule und zu Freunden genauso organisieren können wie die ganze Hausarbeit und Versorgung. Aber sie fragen sich, wie sich dieses Arrangement auf den Kindesunterhalt auswirkt. Sie verdienen beide etwa gleich viel.
Beide sind sich einig, dass sie gleichermaßen das Kind in Obhut haben und betreuen. Hier liegt ein "Wechselmodell" nach der BGH-Rechtsprechung vor, das eng definiert wird: Beide Eltern teilen sich die Betreuung annähernd gleich. Für die Berechnung der Barunterhaltspflicht für das Kind wird beim "Wechselmodell" nicht § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB angewendet, wonach nur ein Elternteil barunterhaltspflichtig ist und der andere – in der Regel sind das Mütter – das Kind in Obhut hat. Bei paritätischer Pflege und Erziehung gilt vielmehr § 1606 Abs. 3 S. 1 BGB, wonach beide Eltern barunterhaltspflichtig sind und anteilig nach Einkommen und Vermögen haften. Wenn ihr Einkommen etwa gleich hoch ist und der Bedarf des Kindes gedeckt ist, müssten keine Ausgleichszahlungen mehr stattfinden (mit Ausnahme des Kindergeldes, das ja nun an einen Elternteil ausgezahlt wird). Sie müssten also nur eine möglichst praktische Lösung dafür finden, wie sie unvorhergesehene Veränderungen bei den Betreuungszeiten ausgleichen (etwa bei Krankheit des Kindes, Überstunden u.Ä.) und größere Anschaffungen durch einen Elternteil abrechnen. Sie schließen eine Elternvereinbarung ab, vereinbaren ein Zeit-Punkte-Konto zum Ausgleich von "Überstunden" bei der Betreuung, stellen sich gegenseitig von Unterhaltsansprüchen frei und richten ein gemeinsames Kind-Konto ein, auf das sie beide den gleichen Barbetrag einzahlen und von dem sie das Geld für größere Anschaffungen für das Kind abbuchen.
Der Fall einer paritätischen, annähernd gleichen Aufteilung der Betreuung kommt jedoch nur selten vor; wenn sich die Eltern nicht auf ein Wechselmodell einigen können, wird viel über die Betreuungsanteile und ihre Auswirkungen auf die Höhe der Unterhaltspflicht gestritten. Wann ist nur ein Elternteil barunterhaltspflichtig für ein unverheiratetes minderjähriges Kind (dann bleibt es bei der Anwendung § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB), und wann sind beide Elternteile anteilig barunterhaltspflichtig? Es geht aber nicht nur um die Höhe des Barunterhalts für das Kind, sondern auch um die möglichen Auswirkungen von geteilter Betreuung auf den Umfang der Erwerbsobliegenheit des zuvor überwiegend betreuenden Elternteils und möglicherweise auch um die Höhe des Betreuungsunterhalts. Schließlich hat das Wechselmodell auch Bedeutung für einige Sozialleistungen, da sich die Frage stellt, ob und wie die Sozialleistungen bei einem praktizierten Wechselmodell geteilt werden können.
Kontroversen
Die partnerschaftliche, paritätische Aufteilung der Sorge und Betreuung des Kindes zwischen getrennt lebenden Eltern provoziert viele Fragen. Warum?
Einmal ist das "Wechselmodell" faktisch eine große Ausnahme – es kommt nicht so häufig vor, genaue Daten und empirische Forschung darüber liegen noch nicht vor. In der Praxis der Familienrechtsanwältinnen und -anwälte spielt es jedoch zunehmend eine Rolle; es sind eher die kooperationswilligen getrennten Eltern in etwas günstigeren Einkommensverhältnissen (das Wechselmodell ist teurer), die sich anwaltlich beraten lassen und Elternvereinbarungen abschließen wollen; aber auch aus der Sozialberatung der Wohlfahrtsverbände wird über zunehmende Nachfragen wegen der Gestaltung des Wechselmodells etwa von SGB II-leistungsberechtigten Eltern berichtet. Wie Kinder und Eltern das "Wechselmodell" gestalten und welche Erfahrungen sie damit machen, ist bisher empirisch kaum erforscht, aber ein Thema, über das viel und emotionalisiert gestritten wird. Da die Rechtsprechung bisher davon ausgeht (meiner Meinung nach zu Recht), dass ein Wechselmodell nur einverständlich von den Eltern vereinbart werden kann, wählen die kooperationswilligen Eltern häufig den Weg der anwaltlichen Beratung oder auch den Abschluss einer Elternvereinbarung, während bei fehlender Einigung, aber höheren Betreuungsanteilen als im klassischen "Besuchsmodell" der Streit häufig vor den Gerichten ausgetragen wird und die Höhe des Kindesunterhalts und die Betreuungsanteile betrifft.
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