Christiane A. Lang
Das Kindschaftsrecht scheint unerschöpfliches Potenzial für Reformen in sich zu tragen. Darüber, dass sich die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen auch und gerade im Kindschaftsrecht widerspiegeln sollten, kann sicherlich Einvernehmen hergestellt werden. Manch einer würde diesen Entwicklungen jedoch statt mit stetigen "kleinen" gesetzgeberischen Neuerungen mit einer großen, umfassenden Reform des Kindschaftsrechts Rechnung tragen wollen. Statt eine grundlegende Novellierung vorzunehmen, wurden in den letzten Jahren mittlerweile nahezu alle Bereiche mit Teilregelungen reformiert. So haben wir die Änderungen infolge des Gesetzes zur Erleichterung familiengerichtlicher Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls, das Vormundschafts- und Betreuungsänderungsgesetz, das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Anfechtung der Vaterschaft, das Umgangsrecht von anderen Bezugspersonen des Kindes und jüngst das am 19.5.2013 in Kraft getretene Gesetz zur gemeinsamen Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern. Und: Aktuell steht das neue Gesetz zur Stärkung der Rechte des leiblichen, nicht rechtlichen Vaters vor der Tür (BT-Drucks 17/12163) und ist am 13.7.2013 in Kraft getreten.
Ein leiblicher Vater eines Kindes, der weder mit der Mutter verheiratet war noch die Vaterschaft anerkannt hat, erhält gegenwärtig ein Umgangsrecht nur dann, wenn er für das Kind eine enge Bezugsperson darstellt und der Umgang dem Kindeswohl dient. Konnte der leibliche Vater, gleich aus welchen Gründen, zu dem Kind aber keine Beziehung aufbauen, bleibt ihm der Kontakt schlichtweg verwehrt. Genau das beanstandete der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). In seinen Entscheidungen vom 21.12.2010 (Anayo./.Bundesrepublik Deutschland, Beschwerde Nr. 20578/07) und vom 15.9.2011 (Schneider./.Bundesrepublik Deutschland, Beschwerde Nr. 17080/07) monierte der EGMR, dass die deutschen Gerichte einem biologischen Vater das Umgangsrecht allein mit der Begründung versagen können, er sei nicht der rechtliche Vater und habe keine sozial-familiäre Beziehung zum Kind, ohne aber die Frage zu prüfen, ob der Umgang nicht vielleicht doch dem Kindeswohl dienlich sein könnte.
Das jetzige Gesetz soll die Maßgaben umsetzen, die vom EGMR vorgegeben wurden, und die derzeit noch begrenzte Möglichkeit des sog. biologischen Vaters, mit seinen Kindern Umgang zu haben, erweitern. Besteht die Vaterschaft eines anderen Mannes, gibt es also schon einen rechtlichen Vater des Kindes, ist der biologische Vater anspruchsberechtigt. Dieser soll auch dann ein Umgangsrecht beanspruchen können, wenn seine Vaterschaft noch gar nicht positiv feststeht. Hierin liegt eine wesentliche Besonderheit des Gesetzes. Im Rahmen eines Umgangsverfahrens soll zukünftig die inzidente Feststellung der biologischen Vaterschaft des Umgang begehrenden Mannes möglich sein. Das hört sich zunächst nicht sehr spektakulär an, bedeutet im Ergebnis aber ein Novum im deutschen Abstammungsrecht: die doppelte rechtliche Vaterschaft. In Abkehr vom bisherigen Abstammungsrecht kann ein Kind nun zwei Männer mit zwei zeitgleich gerichtlich festgestellten Vaterschaften, also zwei Väter, haben. Hieran ändert sich auch nichts dadurch, dass die eine Vaterschaft inter omnes und die zweite inter partes gelten soll. An dieser Stelle kann man – mit den Augen eines Kindes, das eine Mutter, einen rechtlichen Vater, ggf. regelmäßig gerichtlich geregelten Umgang mit den Großeltern und vielleicht noch mit einer anderen Bezugsperson und nun einen zweiten Mann mit gerichtlich festgestellter Vaterschaft oder eben einen zweiten Vater hat – deshalb durchaus geneigt sein, zu fragen: "Wer sind meine Väter – und wenn ja, wie viele?"
Autor: Christiane A. Lang
Christiane A. Lang, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Familienrecht, Berlin
FF 7/2013, S. 265