BGB §§ 1671, 1626, 1684; GG Art. 2, 6; FGG §§ 12, 50, 50b; FamFG §§ 26, 158, 159
a) Beabsichtigt bei gemeinsamer elterlicher Sorge der das Kind betreuende Elternteil, mit dem Kind in ein entferntes Land (hier: Mexiko) auszuwandern, so ist Maßstab der Entscheidung über die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts vornehmlich das Kindeswohl.
b) Für die Entscheidung sind zudem die beiderseitigen Elternrechte einzubeziehen. Die allgemeine Handlungsfreiheit des auswanderungswilligen Elternteils schließt es aus, dass auch die Möglichkeit des Verbleibs des betreuenden Elternteils im Inland als tatsächliche Alternative in Betracht kommt, selbst wenn diese dem Kindeswohl am besten entspräche. Die Gründe des Elternteils für seinen Auswanderungswunsch sind nur insoweit bedeutsam, als sie sich nachteilig auf das Kindeswohl auswirken (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 6.12.1989 – IVb ZB 66/88, FamRZ 1990, 392).
c) Das Familiengericht hat dem für das Kind bestellten Verfahrenspfleger (nunmehr: Verfahrensbeistand) regelmäßig die Möglichkeit zu geben, an der Kindesanhörung teilzunehmen, damit dieser seine Aufgabe, die Kindesinteressen zu vertreten, sinnvoll erfüllen kann. Anders kann nur verfahren werden, wenn konkrete Gründe dafür sprechen, dass die Sachaufklärung durch die Teilnahme des Verfahrenspflegers beeinträchtigt wird.
d) Wenn es für die Entscheidung auf den persönlichen Eindruck von dem Kind und dessen Willen ankommt, ist die Anhörung in der Beschwerdeinstanz vom gesamten Senat durchzuführen (im Anschluss an Senatsbeschl. v. 11.7.1984 – IVb ZB 73/83, FamRZ 1985, 169).
BGH, Beschl. v. 28.4.2010 – XII ZB 81/09 (OLG München, AG Starnberg)
Anmerkung der Redaktion:
Die Entscheidung ist abgedruckt in FamRZ 2010, 1060 m. Anm. Völker.
I. Zur Thematik
Die Entscheidung betrifft eine Konfliktsituation zwischen geschiedenen Eltern, die angesichts der globalisierten Lebensverhältnisse mit zunehmender Häufigkeit auftritt: die geplante Übersiedlung des Betreuungselternteils mit dem Kind ins (entfernte) Ausland und die daraus resultierende Erschwerung des Umgangs zwischen Kind und anderem Elternteil. Im Ausgangsfall waren die Eltern gemeinsam sorgeberechtigt; die Problematik stellt sich – wenngleich in etwas anderen Licht – aber auch bei Alleinsorge des Betreuungselternteils. Der vorliegende Beschluss des BGH ist bedeutsam, weil er sowohl auf materiellrechtlicher wie auf verfahrensrechtlicher Ebene wichtige Klarstellungen bringt und damit die Rechtssicherheit, nicht zuletzt auch für Eltern und Anwaltschaft, fördert.
II. Materielles Recht
1. Im Ausgangsfall haben die Eltern wechselseitig die Herauslösung des Aufenthaltsbestimmungsrechts aus dem gemeinsamen Sorgerecht und die Übertragung jeweils auf sich beantragt – die Mutter, um mit dem Kind auswandern zu können, der Vater, um dies jedenfalls bezüglich des Kindes zu verhindern. Zutreffend ist dieser Konflikt auf der Grundlage des § 1671 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB entschieden worden; der auch in Betracht kommende § 1628 BGB passt bei so grundlegenden, das gesamte Familienleben umgestaltenden Regelungsfragen nicht.
Eher beiläufig stellt der Senat klar, dass die Zuweisung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mutter genügen würde, um die geplante Übersiedlung ins Ausland mit dem Kind zu ermöglichen. Damit wird – in Bekräftigung früherer Judikate – Rechtssicherheit nicht nur für die Eltern geschaffen, sondern auch für in- und ausländische Gerichte, die im Rahmen von HKÜ-Verfahren zu beurteilen haben, ob eine Verbringung des Kindes ins Ausland nach deutschem Recht (als Recht des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes) "rechtswidrig" war. Ob es allerdings sachlich, vom Kindeswohl her sinnvoll ist, bei in verschiedenen Erdteilen lebenden Eltern ein gemeinsames Sorgerecht fortbestehen zu lassen und nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem auswandernden Elternteil allein zuzuweisen, sollte in jedem Einzelfall sorgfältig geprüft werden (sofern ein weitergehender Antrag gem. § 1671 Abs. 1 BGB gestellt ist). Dafür spricht der hohe rechtsethische Stellenwert gemeinsam wahrgenommener Elternverantwortung, das Prinzip des geringst möglichen Eingriffs in elterliche Sorgekompetenz sowie die gesetzliche Reduzierung der Sorgegemeinsamkeit durch § 1687 Abs. 1 BGB. Dagegen kann im Einzelfall sprechen, dass der zurückbleibende Elternteil, trotz moderner Reise- und Kommunikationsmöglichkeiten, situationsbedingt die notwendige Nähe zum Familienleben und den sich fortentwickelnden Kindern möglicherweise verlieren wird und deshalb seiner Sorgeverantwortung nicht mehr sachgerecht genügen kann.
2. Besondere Sorgfalt verwendet die Beschlussbegründung auf die klare Herausarbeitung der maßgeblichen Abwägungsgesichtspunkte und der korrekten Fragestellung bei Elternkonflikten bezüglich einer Umsiedlung ins Ausland. Insoweit sind viele Unsicherheiten in der Rechtsprechung zu beobachten; es wäre ein großer Gewinn, wenn die Leitlinien des Senats künftig die Entscheidungspraxis prägen würden....