a) Die schriftlichen Vereinbarungen der Eltern
Das neue Familienrecht sieht einige Ausnahmen von der Regel der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge und insbesondere der gemeinsamen Personensorge vor. Die wichtigste davon ist die Möglichkeit der Eltern, ein Abkommen über die Verteilung der Ausübung der elterlichen Sorge abzuschließen (Art. 1514 Abs. 1 gr. ZGB). Ein solches Abkommen muss schriftlich erstellt und von einer öffentlichen Behörde beurkundet werden (z.B. Notar, Polizei). Die Eltern dürfen eine abweichende Regelung der Ausübung der elterlichen Sorge vereinbaren. In diesem Rahmen können die Eltern vereinbaren, dass die Ausübung der Alleinsorge einem Elternteil übertragen wird. Sie können weiterhin den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes bestimmen und die Ausübung des Umgangsrechts des Elternteils, mit dem das Kind nicht zusammenlebt, regeln. Diese Vereinbarung dauert mindestens zwei Jahre und kann von Gesetzes wegen verlängert werden, es sei denn, ein Elternteil erklärt dem anderen schriftlich, dass er/sie mit der Verlängerung nicht mehr einverstanden ist.
b) Die gerichtliche Regelung der Ausübung der elterlichen Sorge bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern
Ist die gemeinsame Ausübung der elterlichen Sorge wegen Meinungsverschiedenheiten der Eltern unmöglich, insbesondere, wenn ein Elternteil an ihrer Ausübung nicht mitwirkt oder gleichgültig gegenüber der Ausübung ist oder die schriftliche Vereinbarung nicht einhält, so müssen beide Elternteile auf die Mediation zurückgreifen. Die Inanspruchnahme der Mediation ist nicht verpflichtend, wenn es um häusliche Gewalt geht (Art. 1514 Abs. 2 gr. ZGB). Ist die Inanspruchnahme der Mediation von dem anderen Elternteil abgelehnt oder ist das Mediationsverfahren erfolglos, dann entscheidet das Gericht.
Dem Gericht stehen mehrere Möglichkeiten zu, die im Art. 1514 Abs. 3 gr. ZGB vorgesehen werden. Dieser Vorschrift zufolge kann das Gericht u.a. die Ausübung der elterlichen Sorge zwischen den Eltern aufteilen und die Art und Weise dieser Ausübung bestimmen (funktionelle Verteilung) oder die Ausübung der elterlichen Sorge einem Elternteil oder einem Dritten übertragen. Funktionelle Verteilung der Ausübung der elterlichen Sorge und insbesondere der Personensorge bedeutet, dass jedem Elternteil bestimmte Zuständigkeiten für bestimmte Sachen der Personensorge übertragen werden. Z.B., die Mutter, die Ärztin ist, entscheidet über die Auswahl des Kinderarztes oder des Zahnarztes und der Vater, der Sportlehrer ist, entscheidet über die Sportaktivitäten des Kindes.
Die wichtigste Änderung betreffend die Ausübung der elterlichen Sorge und insbesondere der Personensorge besteht in der Umkehr der Regel des früheren Rechts, wonach die Ausübung der Alleinsorge einem Elternteil ausschließlich übertragen wurde, es sei denn, das Gericht war davon überzeugt, dass die gemeinsame Ausübung der Personensorge dem Kindeswohl diente. Unter der neuen Regelung des Art. 1514 gr. ZGB muss das Gericht davon überzeugt werden, dass die gemeinsame Ausübung der Personensorge dem Kindeswohl schädlich ist.
Zu den Befugnissen des Gerichts bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern gehört auch die Anordnung des abwechselnden Aufenthalts des Kindes. Kriterien für diese Anordnung sind:
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die räumliche Nähe der Wohnungen der Eltern, sodass das soziale Umfeld des Kindes durch die Abwechslung des Aufenthalts nicht beeinträchtigt wird, |
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das Alter des Kindes, denn der abwechselnde Aufenthalt soll in sehr frühem Alter sparsam und sorgfältig angeordnet werden, |
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und die Möglichkeit einer Mindestverständigung der Eltern. |
Diese Kriterien fügen sich aber in einem beweglichen System ein, sodass das Gericht in jedem Einzelfall jedem dieser Kriterien einen besonderen Stellenwert einräumen kann.
Ist die Ausübung der Alleinsorge einem Elternteil erteilt worden, dann darf er/sie alle die Personensorge betreffenden Entscheidungen allein treffen und alle entsprechenden Handlungen allein übernehmen. In diesem Rahmen hat der/die Ausübende die Befugnis, den Kinderarzt, die Schule, die ausschulischen Aktivitäten oder die Unternehmungen des Kindes zu entscheiden.
c) Handlungen des täglichen Lebens – Handlungen in dringenden Fällen
Der Elternteil, bei dem sich das Kind aufhält, hat das Recht, unabhängig davon, ob er/sie ausschließlich oder gemeinsam mit dem anderen Elternteil die elterliche Sorge ausübt, die in Art. 1516 gr. ZGB normierten Handlungen allein zu übernehmen (Art. 1513 S. 2 gr. ZGB). Es handelt sich gewöhnliche Handlungen des täglichen Lebens für die Sorge des Kindes oder laufende Handlungen der Vermögensverwaltung oder Handlungen in dringenden Fällen. Zu den gewöhnlichen Handlungen des täglichen Lebens gehört die Bestimmung des täglichen Stundenplans des Kindes (z.B. Ruhezeiten, Essenszeiten, Hausaufgabenzeit), die Begleitung des Kindes zur Schule oder zu außerschulischen Aktivitäten und zurück nach H...